„Gittersee“: Charlotte Gneuß liest im Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis

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Gut 60 Besucherinnen und Besucher waren gestern Abend zu Lesung und Gespräch mit Charlotte Gneuß in unseren Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis gekommen. Zum Abschluss unserer Veranstaltungsreihe zur Erinnerung an 35 Jahre Friedliche Revolution und Mauerfall stellte die Autorin ihren viel beachteten Roman „Gittersee“ zum ersten Mal in Chemnitz vor. Im Zentrum des Buches, das im Jahr 1976 in dem titelgebenden Vorort von Dresden handelt, steht Karin, die 16 Jahre alte Protagonistin, deren etwas älterer Freund Paul ohne Abschied in die Bundesrepublik flüchtet. Karin bleibt zurück und gerät ins Visier der Staatssicherheit. Es geht um Jugend, Liebe und Freundschaft in der Diktatur, Verrat und Rachegefühle, Misstrauen und falsche Nähe beziehungsweise Nähe zu den Falschen. Denn Karin, unter Druck gesetzt, halb fasziniert, lässt sich mit der Staatssicherheit ein.

In Chemnitz wird daraus ein Wechsel aus Leseauszügen und Gespräch über DDR, DDR-Debatten, Ost und West, Werdegang und literarische Referenzen. Die Leistung des Romans sei es, so unser wissenschaftlicher Mitarbeiter Robert Schröpfer, der den Abend moderierte, große Themen wie Stasi, Wismut und Republikflucht aufzurufen, aber ganz nah an seinen Figuren zu erzählen. Die Autorin schildere sehr genau Gesten, Tonfälle und Atmosphären und schaffe einen kleinen Kosmos an Figuren. Fast alle im Roman seien irgendwie unglücklich, führten nicht das Leben, das sie sich wünschten. Das gebe es, entgegnete Charlotte Gneuß, auch heute, aber damals unter ganz anderen Bedingungen.

Sie habe sich bewusst für die DDR 1976 entschieden, das Jahr der Biermann-Ausbürgerung und der Selbstverbrennung von Oskar Brüsewitz, weil es als Wendepunkt in der DDR-Geschichte gelte. Und die Handlung spiele statt auf dem Weißen Hirsch in Gittersee am anderen Ende Dresdens. Es sei ihr um Lebensnähe gegangen. Häufig habe die Staatsicherheit Jugendliche in den Blick genommen, die entweder aus systemnahen Familien kamen oder ein Bedürfnis nach Nähe hatten, die sie im eigenen privaten und sozialen Umfeld nicht bekamen. Ein wichtiger Antrieb für sie sei gewesen, solche Mechanismen zu beschreiben, auch um zu verhindern, dass solche Dinge wiederkehren.

Unsere Bilder, fotografiert von Kateryna Vdovchenko, zeigen oben Charlotte Gneuß und Robert Schröpfer mit Besucherinnen und Besuchern in der früheren Hafthalle in unserem Lernort, außerdem unten die Autorin auf dem Podium, unsere wissenschaftliche Leiterin Dr. Steffi Lehmann bei der Begrüßung und weitere Eindrücke vom Abend.

Die Veranstaltung wurde mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes. Weitere Informationen finden Sie unter www.erinnerungskultur.sachsen.de. Wir danken außerdem allen Ehrenamtlichen und Mitwirkenden sowie TD Media Chemnitz für den technischen Support.

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