Gut besucht waren mit knapp 20 Gästen gestern Abend Lesung und Gespräch mit Christian Ahnsehl im Chemnitzer Club „Weltecho“. Auf gemeinsame Einladung der Volkshochschule Chemnitz und unseres Vereins stellte der Rostocker Musiker und Autor seinen hochgelobten Debütroman „Der Ofensetzer“ vor. Ahnsehl, geboren 1970 in Greifswald, hatte im Alter von 15 Jahren eine Verpflichtungserklärung des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit unterschrieben. Neun Monate später gelang ihm der Ausstieg. Das Buch, erschienen 2020 im Grünberg Verlag Rostock, spiegelt die damaligen Erlebnisse in literarischer Form wider und erweitert sie spannungsreich um zusätzliche Handlungsstränge und wechselnde Perspektiven. Es geht um einen Jugendlichen zwischen zerstrittenem Elternhaus, Schule und Clique, Werben und Drohen der Staatssicherheit, um eine Geheimdienstintrige und das Aufbrechen verdrängter Vergangenheit.
In Chemnitz fokussierten die gelesenen Auszüge und das Gespräch, moderiert von unserem Vorstandsmitglied Hanka Kliese MdL, auf das zentrale Thema des Romans – den bislang wenig beleuchteten damaligen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen für Spitzeldienste durch die Staatssicherheit und die Situationen, in die Heranwachsende dadurch geraten konnten. Wie ist es, als Minderjähriger im Wartburg von der Stasi eine Zigarette angeboten zu bekommen und plötzlich ganz offen über die DDR sprechen zu sollen? Wie wählte die Staatssicherheit die Betreffenden aus? Wann kam der Drehpunkt, als ihm selbst klar wurde, was er da tat? Und wie wurde er die Stasi wieder los? Aber auch: Wie war ihm später zumute angesichts einer bundesrepublikanischen Debatte über die DDR, die lange Zeit nur Opfer-Täter-Kategorisierungen kannte?
Christian Ahnsehl, aufgewachsen zwischen kirchlich gebundener Mutter und einem Vater in der Partei, charakterisiert sich im Rückblick selbst als einen Jugendlichen, der grundsätzlich an den Sozialismus glaubte, aber in dessen Weltbild immer mehr die Wirklichkeit einbrach. Nachdem er ebenso wie der Protagonist seines Romans eine Parole an die Hauswand seiner Schule geschrieben hatte, schien er für die Staatssicherheit erpressbar geworden. Den sogenannten IM-Vorlauf, so stellte der Erwachsene später zu seiner Überraschung fest, hatte der Geheimdienst allerdings schon ein Jahr zuvor angelegt. Nach jemandem in seinen Lebensumständen hatte die Stasi mit einer Art Raster an Rostocker Schulen damals gerade gesucht.
Unsere Fotos zeigen Christian Ahnsehl oben bei der Lesung aus seinem Roman, unten gemeinsam mit unserem Vorstandsmitglied Hanka Kliese auf dem Podium, außerdem Frau Müller von der Humboldt-und-Agricola-Buchhandlung und ihren Büchertisch sowie den Autor im Gespräch mit einer Besucherin beim Signieren eines Exemplars. Mehr über den Roman finden Sie auf der Website des Autors.
Mit freundlicher Unterstützung der Sächsischen Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur