In Chemnitz erinnert seit heute ein Stolperstein an Willy Lesser, der in der Zeit des Nationalsozialismus im Kaßberg-Gefängnis inhaftiert war und von dort ins Konzentrationslager Sachsenburg verschleppt wurde. In Anwesenheit seiner Enkeltochter Susan Lesser und seines Urenkels Jan Paul Kohlbacher wurde bei der Verlegung vor dem damaligen Wohnsitz seiner Familie in der Rößlerstraße 33 an den Sozialdemokraten und Genossenschafter erinnert. Für unseren Verein und unsere Gedenkstätte nahmen unsere wissenschaftliche Leiterin Dr. Steffi Lehmann und unser wissenschaftlicher Mitarbeiter Robert Schröpfer an der Veranstaltung der Stadt Chemnitz teil und empfingen anschließend Enkelin und Urenkel in unserem Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis.
Willy Lesser (1901-1972), seit Mai 1927 Sekretär des Allgemeinen Konsumvereins Chemnitz und Umgebung, war durch seine politische und publizistische Tätigkeit frühzeitig ins Visier der Nationalsozialisten geraten, wie der Historiker Dr. Jürgen Nitsche berichtete. Im Dezember 1933 verlor der Familienvater seine Anstellung in Chemnitz, im Juni 1934 seine Stelle beim kleineren Konsum- und Sparverein „Zwönitzthal“ im Erzgebirge. Ende Januar 1935 wurde Lesser gemeinsam mit weiteren Genossen wegen des „Verdachts des Hochverrats“ festgenommen und im Kaßberg inhaftiert.
Nachdem das Verfahren aus Mangel an Beweisen eingestellt worden war, wurden die Beschuldigten nicht freigelassen, sondern im Juli 1935 ins Konzentrationslager Sachsenburg in der Umgebung von Chemnitz deportiert. Den Angaben von Dr. Nitsche zufolge mussten sie Strafarbeiten in der Fuhrkolonne, im Steinbruch, in der Wäscherei und der Küche verrichten. Willy Lesser wurde Mitte Februar 1936 aus dem Lager entlassen. Er arbeitete als Vertreter und wurde später Einkaufsleiter im Großhandel.
Nach Kriegsende war Willy Lesser in verschiedenen Funktionen im Handel tätig, unter anderem als Geschäftsführer und Gründungsvorsitzender der wiedergegründeten Konsumgenossenschaft Chemnitz. Gleichzeitig galt der Sozialdemokrat als sogenannter „Einheitsgegner“, der sich gegen die Zwangsvereinigung von KPD und SPD stellte. Dass er im Dezember 1950 die DDR nach West-Berlin und später Hamburg verließ, sei im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen ihn zu sehen, so Dr. Nitsche. Im Dezember 1951 wurde Willy Lesser wahrscheinlich aus politischen Gründen wegen angeblichen „Handels mit unkuranten Waren“ von der DDR-Justiz in Abwesenheit zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt, befand sich aber bereits in Sicherheit vor dem Zugriff des Regimes.
Insgesamt wurden heute in Chemnitz 23 neue Stolpersteine an elf Orten verlegt, die an Verfolgte in der Zeit des Nationalsozialismus erinnern.
Unsere Bilder, fotografiert von unserem wissenschaftlichen Mitarbeiter Robert Schröpfer, zeigen oben den Stolperstein für Willy Lesser vor der Rößlerstraße 33 in Chemnitz, Enkelin Susan Lesser bei der Stolpersteinverlegung sowie gemeinsam mit ihrem Sohn Jan Paul Kohlbacher und unserer wissenschaftlichen Leiterin Dr. Steffi Lehmann im Ausstellungsbereich über die NS-Zeit in unserem Lernort im früheren Hafttrakt B.
Einen ausführlichen Text von Dr. Jürgen Nitsche, auf dem unsere Absätze über Willy Lesser basieren, finden Sie auf der Website der Stiftung Sächsische Gedenkstätten. Eine Übersicht der heute verlegten Stolpersteine gibt es auf der Website der Stadt Chemnitz.