Schubert, Mattias
Mattias Schubert wurde 1958 im damaligen Karl-Marx-Stadt geboren.
Welchen Bezug hat der Zeitzeuge zum Kaßberg-Gefängnis?
Er gehört zu den Zeitzeugen, die mit allen drei Nutzungsarten des Kaßberg-Gefängnisses in der DDR in Berührung gekommen sind. 1973 musste Mattias Schubert mehrere Monate in Untersuchungshaft im Gefängnisteil des Ministeriums des Innern (MdI) verbringen. Von März bis Mai 1984 war er als Untersuchungshäftling der Staatssicherheit und nach der Verurteilung nochmals einige Tage im Trakt des Innenministeriums auf dem Kaßberg eingesperrt. Ab dem 2. Januar 1985 verbrachte er hier als Freikaufhäftling seine letzten Tage in der DDR, bevor er am 16. Januar in den Westen entlassen wurde.
Kurzbiografie

Mattias Schubert entstammte einer Musikerfamilie. Den früh verstorbenen Vater, so erinnert er sich, habe eine große Ehrlichkeit auch im Denken und Sprechen über die Verhältnisse in der DDR ausgezeichnet, während die Mutter solche Themen vermieden habe. Der Sohn gehörte der Jungen Gemeinde, der Jugendgruppe seiner Kirchengemeinde, an. Als im Freundeskreis auch über die Situation im Land, die Aussichtlosigkeit von Engagement – wie die Jugendlichen es empfanden – und eine mögliche Flucht aus der DDR gesprochen wurde, verhaftete die Kriminalpolizei Schubert und weitere Mitglieder der Gruppe. Dass sie regelmäßig Zeit miteinander verbrachten, wurde den Heranwachsenden als Herumlungern ausgelegt und der Tatvorwurf des Rowdytums und der Republikflucht konstruiert.
Schubert gelangte im Alter von nur 14 Jahren als Untersuchungshäftling in den MdI-Teil des Kaßberg-Gefängnisses und nach seiner Verurteilung zu einer verhältnismäßig hohen Jugendstrafe von zwei Jahren und drei Monaten nach Torgau ins berüchtigte Fort Zinna. Schon die U-Haft unter Erwachsenen, denen Wirtschaftsvergehen, Körperverletzungen und andere Delikte zur Last gelegt worden waren, hatte der Heranwachsende als Überforderung empfunden. Dieses Gefühl steigerte sich jetzt noch – bis hin zur Angst ums eigene Überleben. Denn in Torgau geriet der Junge unter Mitgefangene, die er im Rückblick als „hochkriminelle Straftäter im jugendlichen Alter“ beschreibt und die zudem weitestgehend sich selbst überlassen wurden. „Der Umgang untereinander war so miserabel grausam, wie man es sich schlimmer nicht vorstellen kann.“
In einer Gefängnisnacht erlebte Mattias Schubert Misshandlung und Tod eines Mitgefangenen mit, der von weiteren Gefangenen aus der Gemeinschaftszelle in einen abschließbaren Waschraum verschleppt worden war. Weil er um Hilfe für den Bewusstlosen gerufen und anschließend gegen die Tatbeteiligten ausgesagt hatte, galt Schubert fortan als Verräter und wurde selbst zum Ziel gewaltsamer Übergriffe, denen er sich durch Einzelarrest – eigentlich eine Bestrafung für renitente Häftlinge – zu entziehen versuchte. So überstand er die verbleibende Haftzeit.
„Nach dem Freikauf begann ein völlig neues, ein anderes Leben.“
Auch seine zweite Erfahrung mit Haft in der DDR führte Mattias Schubert über das Kaßberg-Gefängnis. Mittlerweile war er Mitte Zwanzig, verheiratet, Vater zweier Kinder und nach Abschlüssen in drei verschiedenen Facharbeiterberufen – Elektriker, Maschinenschlosser und Schmied – als Musiker beim Tanzorchester Karl-Marx-Stadt engagiert. Unzufrieden mit den Verhältnissen im Land und wiederholt im Konflikt mit den Behörden, hatten er und seine damalige Ehefrau einen Ausreiseantrag gestellt, der jedoch abgelehnt wurde. Daraufhin begab sich das Ehepaar im März 1984 mit seinen Kindern nach Ost-Berlin, um in der amerikanischen Botschaft um Asyl nachzusuchen. Schubert hatte zuvor von angeblichen Fällen gehört, in denen es gelungen sei, die DDR auf diese Weise zu verlassen.
Die Hoffnungen erfüllten sich nicht. Zwar informierten die Amerikaner offenbar die Ständige Vertretung der Bundesrepublik über den Fall, schickten die Familie aber am dritten Tag ihres Aufenthalts wieder aus dem Botschaftsgebäude hinaus. Am Morgen nach der Rückkehr in ihre Wohnung in Karl-Marx-Stadt wurden Mattias Schubert und kurz darauf auch seine Frau verhaftet, nachdem sie bereits auf dem Weg von der Botschaft nach Hause begleitet und beobachtet worden waren. Der Vorwurf lautete Agententätigkeit, Republikflucht und staatsfeindliche Hetze.
Während die Stasi auf dem Kaßberg Schuberts Erinnerung zufolge weitestgehend auf physische Gewalt verzichtete, gab es im Strafvollzug in Cottbus Einzelhaft, in der man stundenlang stehen musste, Prügel, auch Hundebisse. Psychischer Druck auf den Familienvater wurde jedoch in beiden Haftanstalten ausgeübt. In Telefongesprächen während der Vernehmungen, die der Inhaftierte mit anhören musste, oder in Bemerkungen des Wachpersonals wurde zum Beispiel auf das Schicksal der Ehefrau und den ungewissen Verbleib der Kinder angespielt. „Ach, die lässt sich scheiden“ oder „Sie müssen Ihre Kinder nicht wiedersehen“ – solche Sätze wurden gesagt.
Über das Kaßberg-Gefängnis – sein dritter Aufenthalt dort dauerte 14 Tage – gelangte Mattias Schubert im Januar 1985 schließlich in den Westen. Auch seine Frau war durch den Häftlingsfreikauf nach Gießen gekommen. Ein Vierteljahr später durften die Kinder folgen.
„Nach dem Freikauf begann ein völlig neues, ein anderes Leben“, blickt Mattias Schubert heute auf seine ersten Jahre in der Bundesrepublik zurück. Aufgrund des Facharbeitermangels dort habe er sorgenfrei leben können. „Die Probleme begannen erst mit dem Fall der Mauer. Hier hatte nicht nur ich, sondern viele Ehemalige das Gefühl, uns holt die Vergangenheit wieder ein.“ Er meint die in seinen Augen mangelnde damalige Aufarbeitung und persönliche Krisen. „Alles kam wieder hoch, und das Leben ging den Bach runter. Es hat gedauert, bis ich mich wieder gefangen hatte. Doch es nagt bis heute.“
