Spurensuche nach 70 Jahren

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Mehr als 70 Jahre bewahrte Zeitzeugin Annemarie Krause geb. Weiser aus dem erzgebirgischen Thum zwei Fotografien mit handschriftlichen Zeilen auf deren Rückseite auf. Es handelt sich um Aufnahmen aus den späten 1940er-Jahren. Eines der beiden Fotos zeigt sie mit Töchterchen Verena Ende des Jahres 1947. Der Vater des Kindes stammt aus Moldawien und will nach dem erfolglosen Versuch, aus dem sowjetischen Militärdienst entlassen zu werden, mit seiner kleinen Familie in den Westen fliehen. Doch im Jahr 1948 wird Annemarie verhaftet, kurze Zeit später auch Mutter und Tante. Die 16-Jährige kommt ins Kaßberg-Gefängnis. Die Anklage lautet: „Beihilfe zur Fahnenflucht“. Ein sowjetisches Militärgericht verurteilt die Frauen zu 25 Jahren Arbeitslager. Es folgen mehrere Haftstationen unter menschenunwürdigen Bedingungen. Annemaries Mutter und Tante werden im April 1949 aus Bautzen entlassen, das Strafmaß von Annemarie Krause wird auf zehn Jahre herabgesetzt. Ihre Entlassung erfolgt im Januar 1954 aus Hoheneck.

Im Zuge ihrer Recherche für ein Zeitzeuginnenporträt über Annemarie Krause für den achten Band der VOS-Schriftenreihe bekam Autorin Ariane Zabel die Fotos im vergangenen Sommer zu sehen. Gemeinsam mit unserer wissenschaftlichen Mitarbeiterin Dr. Steffi Lehmann unternahm sie daraufhin den Versuch, die handschriftlichen Botschaften übersetzen zu lassen. Das Rätsel um einen der Briefe ist nun gelöst: Maksim wollte das Foto mit Annemarie und Töchterchen wahrscheinlich einem Freund schicken. Auf der Rückseite notierte er, wie er sich auf das Wiedersehen mit ihm freue. Er wollte ihm zeigen, wie glücklich er mit seiner Frau und Tochter war.

Der zweite Brief wirft noch Fragen auf. Das hängt vor allem mit der Übersetzung zusammen. Die mit Bleistift geschriebenen Buchstaben lassen sich kaum mehr lesen, und es handelt sich um Rumänisch in kyrillischer Schrift, teilweise in Lautsprache nach den örtlichen Dialekten in Moldawien verfasst. Vielleicht können wir auch dieses Rätsel noch lösen.

Wir danken herzlich Dr. Sabine Krause und ihrer Kollegin Dr. Alina Tofan vom Institut der Romanistik der Universität Leipzig für die aufwendige Übersetzungsarbeit und ihr persönliches Engagement. Prof. Dr. Stefan Rohdewald vom Lehrstuhl für Ost- und südosteuropäische Geschichte der Universität Leipzig und Prof. Dr. Stefan Garsztecki vom Institut für Europäische Studien – Kultur- und Länderstudien Ostmitteleuropas der TU Chemnitz danken wir für die wertvollen Hinweise sowie Balthasar Dusch vom Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V. für die Unterstützung und den entscheidenden Tipp.

Die Publikation „Ich musste das vom Herzen kriegen. Erinnerungen an politische Gefangenschaft“, herausgegeben von der Vereinigung der Opfer des Stalinismus e.V., Landesgruppe Sachsen, und verfasst von Ariane Zabel, erscheint Anfang Februar 2022. Die Zeitzeugenseite der VOS Sachsen im Internet finden Sie hier. Zu einem Beitrag über Annemarie Krause auf unserer Website geht es hier entlang.

Das Foto unten zeigt Zeitzeugin Annemarie Krause zusammen mit der Autorin Ariane Zabel (links) und unserer wissenschaftlichen Mitarbeiterin Dr. Steffi Lehmann bei einem Besuch im Januar 2022.

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