Zum Jahrestag der Befreiung der Überlebenden des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau am 27. Januar 1945 durch die Rote Armee wird heute der Internationale Holocaust-Gedenktag begangen und der Opfer des nationalsozialistischen Judenmords sowie der NS-Gewaltherrschaft gedacht. Mitglieder und Mitarbeiter unseres Vereins putzten aus diesem Anlass gestern die Stolpersteine für Harry Kamnitzer, seine Familie und Nachbarn vor dem Wohnhaus Barbarossastraße 55 auf dem Chemnitzer Kaßberg sowie für Leib Kleinberg und Hans Mire in der Kaßbergstraße vor dem früheren Gefängnisareal und legten dort sowie am Gedenkort für die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft an der Außenmauer des ehemaligen Kaßberg-Gefängnisses Blumen nieder.
Das Kaßberg-Gefängnis war neben dem Polizeipräsidium in der Hartmannstraße für die Stadt und Region Chemnitz ein „zentraler Ort nationalsozialistischer Verfolgung“ (Christian Lieberwirth). Leib Kleinberg und Hans Mire waren im Sommer 1939 beziehungsweise im Frühjahr 1940 in sogenannte „Schutzhaft“ genommen und im Kaßberg-Gefängnis eingesperrt worden. Dort nahmen sich beide in der Folge unter ungeklärten Umständen das Leben. Beider Geschichten sollen in der Dauerausstellung des zukünftigen Lern- und Gedenkorts Kaßberg-Gefängnis erzählt werden. Harry Kamnitzer, geboren 1888, gehörte zu den 186 jüdischen Männern, die am 9. November 1938 in Chemnitz und Umgebung verhaftet wurden und vermutlich im Kaßberg- sowie dem Polizeigefängnis eingesperrt waren. Die meisten von ihnen, darunter Harry Kamnitzer, wurden an den beiden darauffolgenden Tagen ins Konzentrationslager Buchenwald gebracht und dort mehrere Wochen unter katastrophalen Bedingungen gefangen gehalten.
Mit der Entlassung endete der Leidensweg Harry Kamnitzers und seiner Familie nicht. Die Firma seines älteren Bruders Bernhard Kamnitzer, in der Harry Kamnitzer möglicherweise als Abteilungsleiter für Textilwaren arbeitete, wurde Forschungen des Historikers Dr. Jürgen Nitsche zufolge 1939/40 geschlossen. Kurz nach der Heirat im Januar 1940 konnte die Ehefrau des Bruders, Judith Kamnitzer, nach Amerika ausreisen, was vermutlich schon seit längerem geplant war. Der Bruder selbst und die Familie blieben in Chemnitz zurück. Eine „Umschichtung“ (Umschulung) in Berlin half Bernhard Kamnitzer auch nicht, nach Palästina auszuwandern. Die Familie musste in ein sogenanntes Judenhaus in der Friedrichstraße 5 umziehen, wo die beiden Brüder, ihre Schwester Johanna Kamnitzer und die 81 Jahre alte verwitwete Mutter Rosalie Kamnitzer gemeinsam auf engstem Raum im Hinterhaus in einem früheren Schuhgeschäft wohnen mussten.
Am 7./8. September 1942 wurden Harry Kamnitzer, Bernhard Kamnitzer und Rosalie Kamnitzer nach Theresienstadt deportiert. Johanna Kamnitzer war bereits am 10. Mai 1942 in den Osten verschleppt worden. Rosalie Kamnitzer kam am 7. Oktober 1942, Bernhard Kamnitzer am 12. Oktober 1942 in Theresienstadt ums Leben. Harry Kamnitzer wurde am 29. Januar 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Unsere Fotos zeigen oben Mitarbeiterin Dr. Steffi Lehmann (l.), Vereinsmitglied Veronika Brandt und unseren stellvertretenden Vorsitzenden Volkmar Zschocke MdL, fotografiert von Mitarbeiter Robert Schröpfer, am Gedenkort für die Opfer der NS-Gewaltherrschaft an der Außenmauer des ehemaligen Kaßberg-Gefängnisses, unten unser Team beim Putzen der Stolpersteine, außerdem die Stolpersteine für Hans Mire und Leib Kleinberg in der Kaßbergstraße sowie für Samuel Nussberg, Frieda Nussberg, Rachela Nussberg, Manfred Nussberg und Rosa Nussberg, Benno Berger und Egon Emanuel Berger, Rosalie Kamnitzer, Bernhard Kamnitzer, Harry Kamnitzer und Johanna Kamnitzer in der Barbarossastraße.
Wir danken Dr. Jürgen Nitsche, der mit uns seine Rechercheergebnisse und einen Erinnerungstext über die Familie Kamnitzer teilte, auf dem unser Beitrag basiert. Mehr über die Schicksale der Familie Nussberg, der Brüder Berger und der Familie Kamnitzer finden Sie hier, hier und hier auf der Website der Stadt Chemnitz.