Zeitzeuge im Gespräch

Welche Daten sammelte das Ministerium für Staatssicherheit und mit welchem Ziel? Wie ging die politische Geheimpolizei mit der Vielzahl an Informationen um? Wie fühlte es sich an, von Spitzeln und Zuträgern umgeben zu sein, und wie verhielt man sich als Betroffener dazu? Um Fragen wie diese ging es am Dienstagabend in einer gemeinsamen Veranstaltung unseres Vereins mit dem Bundesarchiv, Stasi-Unterlagen-Archiv (StUA) Chemnitz, und der Pochen-Biennale. 45 Gäste waren in die Ausstellungsräume des Festivals für multimediale Kunst im Wirkbau Chemnitz gekommen. In einem Impulsvortrag gab StUA-Mitarbeiterin Sandra Meier einen Überblick über die Arbeitsweise und sogenannte Zersetzungsmaßnahmen, das Selbstverständnis und die Daten-Sammelwut der DDR-Staatssicherheit. Anschließend berichtete Zeitzeuge Wolfgang Lötzsch im Gespräch mit ihr und unserer wissenschaftlichen Mitarbeiterin Dr. Steffi Lehmann über seine Erfahrungen als Ziel des „OV Speiche“, wie der „Operative Vorgang“ gegen den damaligen Radsportler im Sprachgebrauch der Stasi hieß.

Wolfgang Lötzsch, im November 1971 als vierfacher DDR-Juniorenmeister in den Kader der Olympischen Spiele berufen, war kurz darauf immer mehr aus dem Leistungssport hinausgedrängt worden, weil ihn die Behörden als „politisch bedenklich“ eingestuft hatten. Auch nachdem er wegen unbedachter Äußerungen („Staatsverleumdung“) 1976 für zehn Monate im Kaßberg-Gefängnis eingesperrt war, platzierte die Staatssicherheit weiterhin sogenannte Inoffizielle Mitarbeiter in seinem Umfeld. IM „Jimmy“ war einer von rund fünfzig Spitzeln, die das MfS auf ihn angesetzt hatte. Das Beispiel von IM „Ulrike“ zeigte, wie weit die Staatssicherheit in das Privatleben sogenannter Zielpersonen einzudringen versuchte. Etwa 3.000 Seiten umfasste die Stasi-Akte von Wolfgang Lötzsch am Ende der DDR.

Die Pochen-Biennale, Festival für multimediale Kunst, dreht sich diesmal unter dem Motto „Die (neue) Vermessung der Welt“ um Informationstechnologien und Daten. Sie läuft noch bis Sonntag, 9. Oktober im Wirkbau Chemnitz. Das Programm finden Sie hier.

Das Foto zeigt Wolfgang Lötzsch im Gespräch mit Sandra Meier (l.), Dr. Steffi Lehmann und dem Publikum. (Bildquelle: Pochen-Team – mit freundlicher Genehmigung)

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