Zeitzeuge zu Gast

Zeitzeugen-Besuch hatte zu Wochenbeginn unser Gedenkort an der Außenmauer des ehemaligen Kaßberg-Gefängnisses. Heinz Rall, 1969/70 politischer Gefangener in der Stasi-Untersuchungshaftanstalt im damaligen Karl-Marx-Stadt, war auf den Kaßberg gekommen, um sich im Gespräch mit unserer Leiterin Dr. Steffi Lehmann und unserem wissenschaftlichen Mitarbeiter Robert Schröpfer über die Konzeption unseres entstehenden Lern- und Gedenkorts sowie den aktuellen Baustand zu informieren. Als junger Mann hatte der vielversprechende Radrennsportler und gelernte Klempner, der damals in seiner Heimatstadt Hainichen (Sachsen) beim Fahrzeughersteller Barkas am Band arbeitete, von einer Karriere im Profi-Radsport im Westen geträumt und deshalb Fluchtgedanken gehegt, wie er berichtete.

Nach einem abgebrochenen gemeinsamen Fluchtversuch über die tschechoslowakisch-österreichische Grenze im Juli 1968, der unentdeckt geblieben war, so Heinz Rall weiter, gelang einem Freund und dessen Familie im März 1969 allein die Flucht in den Westen. Heinz Rall, den sein Kumpel am Vorabend eingeweiht hatte, wurde verhört. Die Staatssicherheit übte Druck auf ihn aus, eine Verpflichtungserklärung als Inoffizieller Mitarbeiter zu unterschreiben, so der Zeitzeuge, stufte ihn in der Folge aber als „unzuverlässig“ ein. Zum Verhängnis wurde ihm, dass er weiterhin Kontakt zu dem Freund im Westen hielt. „Hol mich hier raus“, bat Heinz Rall im Sommer 1969 in einem bewusst nicht am Wohnort, sondern in Leipzig aufgegebenen Brief, den die Staatssicherheit dennoch abfing.

Im Oktober 1969 wurde Heinz Rall im Alter von 19 Jahren in die Untersuchungshaft auf dem Kaßberg gebracht und im Dezember desselben Jahres wegen „versuchter Republikflucht“ zu einem Jahr Freiheitsentzug verurteilt. Zum Strafvollzug kam er über Zwickau und Leipzig nach Cottbus als mitarbeitender Gefangener in den medizinischen Dienst, bis er im Juli 1970 erneut nach Karl-Marx-Stadt gebracht wurde. Dort gefragt, wie er sich sein künftiges Leben vorstelle, sprach er vom erkrankten Vater zu Hause in Hainichen und der verstorbenen Mutter. Der mutmaßliche Freikaufhäftling wusste nicht, dass er sich auch für den Westen hätte entscheiden können. Er wurde nicht in die Bundesrepublik, sondern gemeinsam mit vier weiteren politischen Gefangenen vom Gefängnistor aus zurück in die DDR entlassen.

„Es ist alles gut, so wie es ist“, sagt Heinz Rall heute. 1974 heiratete er, gründete eine Familie. Er hat drei Kinder und drei Enkel. Viele Jahre arbeitete er in seinem erlernten Beruf als Klempner und Installateur in Hainichen. Heute lebt Heinz Rall in Chemnitz.

Unsere Fotos zeigen Heinz Rall gemeinsam mit Dr. Steffi Lehmann, fotografiert von Robert Schröpfer, sowie Blicke in ein Fotoalbum mit sportlichen Erfolgen aus der Zeit vor der Haft.

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