Annemarie Krause wurde am 15. November 1931 im erzgebirgischen Thum geboren.

Welchen Bezug hat die Zeitzeugin zum Kaßberg-Gefängnis?

Annemarie Krause wurde am 5. Oktober 1948 mit 16 Jahren verhaftet und in die Untersuchungshaftanstalt auf den Kaßberg gebracht. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nutzte der sowjetische Geheimdienst NKWD bzw. das sowjetische Ministerium für Staatssicherheit das Kaßberg-Gefängnis als Haftstätte. Neben NS-Verbrechern wurden viele junge Menschen aufgrund von Denunziationen, politischer Willkür und aus Protest gegen das kommunistische System interniert.

Kurzbiografie

Annemarie Krause verliebte sich als junges Mädchen in einen Soldaten der Roten Armee. Maksim stammte aus Moldawien und verfügte über sehr gute Deutschkenntnisse. Er war in der örtlichen Kommandantur untergebracht. Nach anfänglichen heimlichen Treffen standen sie bald öffentlich zu ihrer Liebe. Sie wurde schwanger und die Familie unterstützte das junge Paar. In der Kleinstadt jedoch hatte sie es nicht leicht, es wurde getuschelt und die junge Frau gemieden. Ihre Tochter Verena brachte Annemarie Krause 1947 zur Welt. Die jungen Eltern wollten sich nun ein gemeinsames Leben aufbauen. Maksim bat um Entlassung aus dem Militärdienst. Dies wurde ihm verweigert. Die kleine Familie beschloss daraufhin, nach Westdeutschland zu gehen.

Am 5. Oktober 1948 erfolgte die Verhaftung von Annemarie Krause. Während sie im Kaßberg-Gefängnis inhaftiert wurde, versuchte Maksim bis nach Magdeburg zu kommen. Nach vier Tagen wurde auch er verhaftet. Im November 1948 wurden Annemaries Mutter und Tante ebenfalls eingesperrt. Fast drei Monate verbrachte die junge Frau im Kaßberg-Gefängnis in einer Einzelzelle. Es folgten nächtliche Verhöre und Demütigungen. Mehr als eine Kanne kaltes Wasser für die Körperhygiene und zum Waschen ihrer Sachen bekam sie nicht. Mehrere Wochen konnte sie ihre Haare nicht waschen. Die Zelle war dunkel und dreckig. Sie ekelte sich und hatte Angst. Bei den Verhören sagte sie immer wieder, sie möchte nach Hause. Weihnachten 1948 bat sie den sowjetischen Wärter auf Anraten der Mitgefangenen in ihrer Zelle um ein Buch. Auf Knien musste sie den ganzen Zellenflügel schrubben.

Im Dezember 1948 verurteilte ein Sowjetisches Militärtribunal sie, ihre Mutter und ihre Tante wegen „Beihilfe zur Fahnenflucht“ zu 25 Jahren Strafarbeitslager. Die Frauen kamen nach Bautzen, Maksim in ein Straflager nach Magadan. Die Tochter befand sich bei einer Tante von Annemarie Krause. Die Verhältnisse im überfüllten Bautzener Gefängnis waren katastrophal. Am 4. April 1949 erhielten die Frauen persönlich die Mitteilung, Annemaries Strafe werde auf zehn Jahre herabgesetzt, Mutter und Tante entlassen. Im Mai 1949 musste sie drei Tage in einem Viehwaggon ohne Wasser ausharren. Sie kam in das Lager Sachsenhausen. Die Situation war entsetzlich. Neben Flöhen und Wanzen machte die Mangelernährung den Gefangenen zu schaffen. Im Jahr 1950 erfolgte die Auflösung des Lagers, einige der Insassen kamen frei. Die junge Frau wurde erneut in einen Viehwaggon geladen. Der Transport erreichte das Frauenzuchthaus Hoheneck. Die Frauen erhielten Holzschuhe, eine Hose und eine Jacke mit grauen Streifen, Männerhemden und Männerunterhosen sowie ein Kopftuch. Der Haftalltag unterlag strengen Regeln. Die Frauen durften nichts besitzen, selbst die Fotos von ihren Familien und ihre Privatpost mussten sie wieder abgeben. Sie hielten trotz aller Widrigkeiten zusammen. Annemarie Krause arbeitete im Kohlenkommando und im Holzhackkommando.

Die „freie Zeit“ nutzten die Frauen für Handarbeiten mit zusammengesuchten Materialien (z.B. Mull). Die junge Mutter wurde einmal beim verbotenen Stricken erwischt. Sie erhielt 15 Tage Arrest und zwei Paketsperren. Im Herbst 1953 traten die Frauen in einen Hungerstreik. Sie wollten eine Überprüfung ihrer Urteile und bessere Haftbedingungen. Zu dieser Zeit bemühte sich Konrad Adenauer um die Heimkehr der letzten Kriegsgefangenen. Drei Tage dauerte der Hungerstreik im September. Anfang des Jahres 1954 wurde Annemarie Krause entlassen. Fortan arbeitet sie in einer Schuhfabrik, um für Mutter und Tochter zu sorgen. Maksim sah sie nie wieder. Er starb 1990 in Moldawien. Tochter Verena machte die Familie ihres unbekannten Vaters über das Rote Kreuz ausfindig. Im Jahr 2006 besuchten sie, ihre Mutter und Annemaries Ehemann Heinz Krause die Familie von Maksim in der Ukraine.

Annemarie Krause engagiert sich heute in der Vereinigung der Opfer des Stalinismus e.V. und beim Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis e.V. als Zeitzeugin.

Quelle: Aris, Nancy: Das lässt einen nicht mehr los. Opfer politischer Gewalt erinnern sich, Leipzig 2017, S. 159-169; Interview mit Annemarie Krause am 29.05.2019 mit Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis e.V.

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