Jörg Beier wurde am 26. Dezember 1946 in Schwarzenberg geboren. Er starb am 15. Mai 2021 im Alter von 74 Jahren.

Welchen Bezug hat der Zeitzeuge zum Kaßberg-Gefängnis?

Jörg Beier war von Juli 1969 bis zum Mai 1970 in der Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit auf dem Kaßberg inhaftiert.

Kurzbiografie

„Herrscht der Haifisch im Meer,
gibt’s einen sicheren Test,
Staatsverbrecher ist der,
der sich nicht fressen lässt.“
für 1969

Diesen Spruch entnahm Jörg Beier im Sommer 1968 aus einer westdeutschen Broschüre, die er sich von einem Freund ausgeliehen hatte. Zu diesem Zeitpunkt studierte er an der Fachschule für angewandte Kunst in Schneeberg Holzgestaltung. Acht Monate nach seiner Verhaftung erhob der Staatsanwalt Klage gegen ihn. In dessen Anklageschrift vom 3. April 1970 hieß es dazu:

„Mit dem Ziel, Studenten gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR zu beeinflussen, fasste der Beschuldigte im Dezember 1968 den Entschluss, im sogenannten Linolschnittverfahren einen Spruch herzustellen und an Bekannte zu versenden, dessen Inhalt gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung gerichtet war.“

Der Linolschnitt der Neujahrskarte mit dem „Haifischspruch“ 1969

Der Versand der Grußkarte mit dem „Haifischspruch“ bildete einen der Hauptanklagepunkte gegen Jörg Beier, der aus einer Arbeiterfamilie stammte. Bereits in der Vorzeit fiel er dem MfS wegen seines „idealistisch-nihilistischen“ Standpunktes auf. Er las verbotene Literatur, hörte bundesdeutschen Rundfunk, forderte künstlerische Freiheit auf allen Ebenen, sympathisierte mit dem Prager Frühling und wünschte sich einen freien Meinungsaustausch in der DDR, besonders im Hinblick auf die Ereignisse in der Tschechoslowakei. Als ein Freund verhaftet wurde, weil er im August 1968 im Kreis Aue gemeinsam mit anderen Jugendlichen Losungen an Hauswände gebracht hatte, die sich gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings richteten, sprach sich Jörg Beier dafür aus, offen darüber reden zu dürfen statt mit solchen Aktionen strafrechtliche Sanktionen befürchten zu müssen. Mit seiner politischen Einstellung ging er offen um.

Jörg Beier während der Armeezeit, 1967

Am 25. Juli 1969 wurde Jörg Beier vor einer Urlaubsreise nach Bulgarien in das Volkspolizeikreisamt nach Schwarzenberg bestellt und verhaftet. Der Vorwurf lautete: Verdacht der Republikflucht. Laut des Haftbefehles vom 25.07.1969 soll er, „im Juni 1969 ein Visum für eine Reise in die VR Bulgarien mit dem Ziel beantragt zu haben, die Reise zu benutzen, um ins kapitalistische Ausland zu gelangen. Zu diesem Zwecke führte er mit dem Beschuldigten XXX schon vorher entsprechende Absprachen. Das Visum hat er bereits erhalten.“

Das MfS wurde durch einen Freund auf ihn aufmerksam, der wiederum in seiner Seminargruppe Opfer von Denunziation wurde. Der Verhaftung in Schwarzenberg folgte der Transport in die Untersuchungshaftanstalt auf den Kaßberg. Nach dreimonatiger Einzelhaft mit Verhören und Schikanen verurteilte ihn das Bezirksgericht Karl-Marx-Stadt zu einem Jahr und sechs Monaten wegen „staatsfeindlicher Hetze“. Von Mai bis Oktober 1970 befand sich Jörg Beier im Strafvollzug Cottbus. Am 14.10.1970 wurde entlassen.

In der Untersuchungshaftanstalt Karl-Marx-Stadt schrieb Jörg Beier an einem Sonntag gegen 09.00 Uhr an seine Familie in Schwarzenberg: „Meine lieben Eltern, Großeltern und Brüder. Für die erhaltene Post von Euch vielen herzlichen Dank. Es sind immer so etwas wie Zeichen aus einer anderen Welt, wenn man so lange hier ist. Aber um eines möchte ich Euch von ganzem Herze bitte: macht Euch nicht allzu viel Sorgen um mich, das Leben ist so kurz – und man sollte in ihm mehr lachen. Und jeder lebt sein eigenes Leben und jeder muss auch für eigene Fehler geradestehen. Die Sorge um den anderen soll nicht so weit gehen, dass man selbst darüber vergisst. Lacht und seid fröhlich, geht öfters mal aus und staunt, was es doch so alles auf der Welt gibt.“

Im Jahr 2015 erschien das autobiografische Buch „Aber die Gedanken sind frei. Briefe durch die Gitter“ zur Geschichte von Jörg Beier. Darin abgedruckt sind Aktenauszüge und der Schriftwechsel mit seiner Familie während der politischen Haft.

Bis zu seinem Tod am 15. Mai 2021 lebte und arbeitete der Diplom-Designer als Künstler in Schwarzenberg. Seit vielen Jahren engagierte er sich im Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis e.V. für den Aufbau der Gedenkstätte.


Unseren Nachruf auf unseren Zeitzeugen und Vorstand Jörg Beier finden Sie hier.

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