Jetzt ist es so weit: Wir haben eröffnet!
Im Beisein zahlreicher Zeitzeuginnen und Zeitzeugen haben heute Nachmittag Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, Staatsministerin Barbara Klepsch, der Chemnitzer Bürgermeister Ralph Burghart und die SED-Opfer-Beauftragte des Deutschen Bundestages, Evelyn Zupke, gemeinsam mit der Zeitzeugin Elke Schlegel und Sandra Polom, Enkelin einer Inhaftierten der NS-Zeit, Jens Kroll, heutiger Eigentümer der Immobilie, und unserem Vereinsvorsitzender Jürgen Renz das symbolische Band am Eingang durchschnitten. Damit ist die Gedenkstätte vollständig und der Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis endlich Realität.
„Wir haben einen langen, mühevollen Weg von der Vereinsgründung im November 2011 über den Gedenkort 2017 bis zur Eröffnung des Lernorts für Demokratie im Oktober 2023 zurückgelegt. Nun öffnen wir unsere Türen“, sagte unser Vereinsvorsitzender Jürgen Renz. „Wer sich auf diesen Ort einlässt, kann begreifen, wie wertvoll die Freiheit ist und was wir verlieren, wenn sie nicht mehr da ist. Mögen sich Generationen von Schülerinnen und Schülern im Lernort mit der Vergangenheit kritisch auseinandersetzen und die Demokratie in der Zukunft stärken.“
In sechs Jahren Projektlaufzeit und knapp zwei Jahren Umbauzeit ist im historischen Gebäude in Zusammenarbeit mit unserem Projekt- und kuratorischen Leiter Peter Wellach (beier+wellach projekte, Berlin) ein moderner Lernort mit Dauerausstellung zur doppelten Diktaturgeschichte des einstigen politischen Haftorts und zum Häftlingsfreikauf aus der DDR entstanden.
Der Schwerpunkt liegt auf der Besonderheit des Ortes, dem Häftlingsfreikauf aus der DDR, der zentral für Betroffene aus Haftanstalten der gesamten DDR über diesen Gebäudeteil des Kaßberg-Gefängnisses im damaligen Karl-Marx-Stadt abgewickelt wurde. Für die meisten der insgesamt mehr als 33.000 politischen Gefangenen, die zwischen 1962/63 und 1989 von der Bundesrepublik aus der DDR freigekauft wurden, ging es von hier aus in die Freiheit. Damit ist der Kaßberg nicht nur ein ostdeutscher, sondern ein deutsch-deutscher Erinnerungsort.
Außerdem wird in der Dauerausstellung an Haftschicksale aus der Zeit des MfS-Untersuchungsgefängnisses und zuvor des sowjetischen Geheimdienstes NKWD/MGB erinnert. In einem dritten Ausstellungsteil werden Lebensgeschichten von Angehörigen unterschiedlicher Opfergruppen erzählt, die während der Zeit des Nationalsozialismus im Kaßberg-Gefängnis inhaftiert worden sind. Gerade für jüdische Inhaftierte bedeutete der Kaßberg oft den Beginn eines Leidensweges, der vielfach in den Tod, in Konzentrations- und Vernichtungslager oder weitere Verfolgung führte.
Das Zentrum der Ausstellung bilden die Biografien früherer politischen Gefangenen. Es geht um Menschen, die sich selbstbewusst in Konflikt mit dem jeweiligen Regime begaben oder unschuldig ins Visier ihrer Verfolgerinnen und Verfolger gerieten. Ihre Schicksale werden mit exklusiv für die Ausstellung angefertigten Videointerviews, Texten, Fotos, Dokumenten und Exponaten in den ehemaligen Zellen erzählt. Räumlich getrennt von den persönlichen Geschichten werden im sogenannten Kopfbau Herrschaftspraxis und Hintergründe der jeweiligen diktatorischen Regime sowie die Geschichte des deutsch-deutschen Freikaufs erläutert.
Der Hafttrakt B und das gesamte Gefängnis waren im Innenraum zu Umbaubeginn nicht mehr in der Ausstattung der 1970er-/80er-Jahre erhalten, sondern wurden in der bundesrepublikanischen Nutzungszeit (JVA) zwischen 1990 und 2010 stark überformt. Ab 2020 wurde auch der Außengestalt aufgrund denkmalpflegerischer Entscheidungen zurückgeführt auf den Zustand der Bauzeit um 1876. Ziel war daher keine kulissenhafte Rekonstruktion der einstigen MfS-Untersuchungshaftanstalt. Im modernen Lernort werden stattdessen Fenster in die Vergangenheit geöffnet.
Drei Schauzellen wurden mit originalen oder nach historischen Vorbildern gefertigten Gegenständen ausgestattet und zeigen die Zelleneinrichtung in der NS-Zeit sowie in der MfS-Untersuchungs- und in der Freikaufhaft. Farbbefunde machen die Suche nach Authentizität sichtbar. Der Außenrundgang arbeitet unter anderem mit einer App und Augmented Reality, die verschwundene Gebäudeteile vergegenwärtigt, etwa die Fahrzeugschleuse und die ebenfalls abgerissenen sogenannten Freigangzellen, deren Grundriss als Bodenintarsie eingebracht wird und Vorbild für das neue Logo des Lern- und Gedenkorts ist.
Im Erdgeschoss des ehemaligen Hafttrakts B wurden die Serviceeinrichtungen gebündelt. Dort befinden sich neben dem Eingangsbereich mit Einführungsfilm auch die Verwaltung und die Seminarräume des Lern- und Gedenkorts und die technischen Einbauten. Ein zentrales Anliegen ist unserem Verein die Bildungsarbeit mit Führungen, Workshops und Zeitzeugengesprächen. Auch ein Veranstaltungs-programm ist geplant.
Insgesamt standen für den Umbau, die Erarbeitung und Installation der Dauerausstellung sowie die Gedenkstättenfunktion rund 4,6 Mio. Euro bereit. Die Fördermittel wurden von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, dem Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus, der Stiftung Sächsische Gedenkstätten und dem Kulturraum Stadt Chemnitz zur Verfügung gestellt.
Nach der offiziellen Eröffnung folgt am Samstag und Sonntag, 21./22. Oktober 2023 ein Eröffnungswochenende mit freiem Eintritt, Führungen, Podien, Infoständen und einem Konzert. Das Programm unseres Eröffnungswochenendes finden Sie, wenn Sie hier klicken.
Regulär geöffnet ist der neue Lernort für Demokratie ab 28. Oktober 2023, immer von Mittwoch bis Sonntag, jeweils 10 bis 18 Uhr. Der Eintritt kostet 6, ermäßigt 4 Euro.
Unsere Fotos zeigen oben Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, Sandra Polom, Enkeltochter einer Haftinsassin der NS-Zeit, unseren Vorsitzenden Jürgen Renz, die SED-Opferbeauftragte des Deutschen Bundestages, Evelyn Zupke, den heutigen Eigentümer des ehemaligen Gefängnisareal, Jens Kroll, Staatsministerin Barbara Klepsch, Bürgermeister Ralph Burghart und Zeitzeugin Elke Schlegel (v.l.) beim symbolischen Durchschneiden des roten Bandes, unten einen Blick ins Festzelt während der Rede von Zeitzeugin Elke Schlegel und den Chor Kaleidoskop, den Ministerpräsidenten im Gespräch mit Schülerinnen und Schülern des Karl-Schmidt-Rottluff-Gymnasiums und die Gäste mit unserem kuratorischen Leiter Peter Wellach bei der Führung durchs Haus. Es folgen Bilder mit unserem Zeitzeugen Wolfgang Lötzsch (mit Fahrrad), unseren Zeitzeugen Frank Nemetz (l.) und Falk Mrázek, unserer Zeitzeugin Annemarie Krause im Gespräch mit unserem Vorsitzenden Jürgen Renz, unserem Zeitzeugen André Fischer und Michael Schlosser im Ausstellungsbereich mit ihrer jeweiligen Biografie, unseren Projektleiter Peter Wellach im Interview mit Nico Adam und Team sowie zuvor Vorstandsmitglieder unseres Vereins und Projektbeteiligte zuvor in Erwartung der Gäste in der Kaßbergstraße. Fotos: Christian Sünderwald, Robert Schröpfer/Verein