Erster Spatenstich

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Zehn Jahre nach Gründung unseres Vereins wird eines unserer wichtigsten Vereinsziele Realität: Der Umbau des ehemaligen Hafttrakts B zum Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis hat begonnen.

In Anwesenheit des Chemnitzer Oberbürgermeisters Sven Schulze vollzogen heute Mittag unser Vereinsvorsitzender Jürgen Renz, Abteilungsleiter Markus Franke vom Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus, Geschäftsführer Jens Kroll von der Cegewo, der Eigentümerin des früheren Gefängnis-Areals, und unser Zeitzeuge und Vereinsmitglied Michael Schlosser symbolisch den Ersten Spatenstich auf dem Gelände des ehemaligen Kaßberg-Gefängnisses. Damit starteten offiziell die Bauarbeiten für unseren zukünftigen Lern- und Gedenkort – aufgrund der gegenwärtigen pandemischen Situation bedauerlicherweise mit weniger Gästen, Vereinsmitgliedern, Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, Partnerinnen und Partnern unseres Vereins vor Ort als ursprünglich geplant.

„Mit dem heutigen Tag geht ein Wunsch vieler Leidensgenossen und von mir in Erfüllung, das Kaßberg-Gefängnis wird nach langem Warten Gedenkstätte und ein richtiger Lern- und Gedenkort zur Aufarbeitung der Vergangenheit.“

Michael Schlosser, Zeitzeuge

Bis Herbst 2022 soll am authentischen Ort auf 1.900 Quadratmetern eine Gedenkstätte mit Dauerausstellung zur Vergangenheit des Gefängnisses mit seiner doppelten Diktaturgeschichte entstehen, deren Zentrum die Biografien früherer politischer Gefangener bilden. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem Alleinstellungsmerkmal des Ortes, dem Häftlingsfreikauf aus der DDR, der zentral für Betroffene aus Haftanstalten aus der gesamten DDR über diesen Gebäudeteil des Kaßberg-Gefängnisses im damaligen Karl-Marx-Stadt abgewickelt wurde. Für die meisten der insgesamt mehr als 33.000 politischen Gefangenen, die zwischen 1963 und 1989 von der Bundesrepublik aus der DDR freigekauft wurden, fuhren von hier aus die Busse in die Freiheit. Außerdem wird an Haftschicksale aus der Zeit des Stasi- und zuvor des NKWD-Untersuchungsgefängnisses erinnert. In einem dritten Ausstellungsteil werden Lebensgeschichten von Häftlingen unterschiedlicher Opfergruppen erzählt, die während der Zeit des Nationalsozialismus im Kaßberg-Gefängnis schwerstes Unrecht erlitten.

Zu diesem Zweck wird das Gebäude in seinem Innern für Besucherinnen und Besucher erschlossen und unter denkmalpflegerischen Gesichtspunkten teilweise von Überbauungen aus der Nutzungszeit als Justizvollzugsanstalt des Freistaats Sachsen von 1990 bis 2010 befreit. Ein Außenrundgang mit einem Tastmodell und Infopulten soll ergänzend zu unserem bereits bestehenden Gedenkort an der Außenmauer in der Kaßbergstraße an die Gestalt des Geländes in der DDR der 1980er-Jahre mit der inzwischen nicht mehr existierenden Busschleuse und den ebenfalls abgerissenen sogenannten Freigangzellen erinnern. Das Bestandstreppenhaus wird als Zeittunnel in die DDR der 1980er-Jahre hergerichtet. Darüber hinaus entstehen neben einem Erschließungstreppenhaus, einem Aufzug, Büros im Souterrain und einer Cafeteria Flächen für wechselnde Sonderausstellungen sowie Seminarräume für regelmäßig vorgesehene Veranstaltungen zur politischen Bildung, einem Arbeitsschwerpunkt des Vereins.

Insgesamt stehen für die Baumaßnahmen sowie die Erarbeitung und Installation der Dauerausstellung rund 3,8 Mio. Euro bereit. Die Fördermittel werden von der Beauftragten des Bundes für Kultur und Medien, dem Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus sowie der Stadt Chemnitz zur Verfügung gestellt.

Das Bauvorhaben und die Dauerausstellung werden mitfinanziert auf Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtags beschlossenen Haushalts.


Unser Vereinsvorsitzender Jürgen Renz dankte den Fördermittelgebern für die Unterstützung: „Wir freuen uns sehr über den heutigen Spatenstich. Dank der umfangreichen Förderung durch die Bundesrepublik Deutschland, den Freistaat Sachsen und die Stadt Chemnitz kann der Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis e.V. die künftige Gedenkstätte am historischen Ort errichten. Nach Abschluss der komplexen Planungen und Ausschreibungen können wir nun in einem wesentlichen Bereich zur Tat schreiten und mit dem Umbau des ehemaligen Hafthauses beginnen. Die nächsten Monate werden herausfordernd sein, aber wir sind zuversichtlich, dass wir in einem Jahr die Gedenkstätte eröffnen können.“

Für den Chemnitzer Oberbürgermeister Sven Schulze ist der zukünftige Lern- und Gedenkort ein wichtiger Bestandteil der Chemnitzer Stadtgesellschaft: „Das Privileg einer freiheitlich-friedlichen Demokratie wird von vielen als selbstverständlich empfunden. Inzwischen wissen wir, wie zerbrechlich Demokratie sein kann und dass man sie vehement verteidigen muss. Für uns als Stadt Chemnitz ist es ein besonderes Anliegen, den Um- und Ausbau als Lern- und Gedenkort zur bewegten Geschichte zu unterstützen. Wir als Stadt unterstützen diesen Umbau als Lern- und Gedenkort zur bewegten Geschichte von Herzen.“

Markus Franke, Abteilungsleiter Kunst im Staatsministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus, würdigte den Stellenwert des Ortes für die Erinnerungskultur und die Demokratie: „Die Gedenkstätte auf dem Chemnitzer Kaßberg ist steinerne Anti-Demokratie-Geschichte und als heutiger Gedenkort wichtiger denn je. Denn sie erzählt uns, was es heißt in einer Diktatur unfrei zu sein. Es ist den Mitgliedern des Vereins zu verdanken, dass sie diese wichtige Vermittlung übernehmen und damit ein Erbe antreten, was viele Zeitzeugen bisher authentisch und nachdrücklich geleistet haben. Der Bund und der Freistaat Sachsen unterstützen den Verein aus der Überzeugung heraus, dass eine lebendige Erinnerungskultur wegweisend für die Zukunft unserer Gesellschaft ist.“

Unser Zeitzeuge und Vereinsmitglied Michael Schlosser, der im Oktober 1983 wegen Fluchtvorbereitungen aus der DDR verhaftet und im Dezember 1984 als Freikaufhäftling über den Kaßberg in den Westen entlassen worden war, hob die Bedeutung des zukünftigen Lern- und Gedenkorts für die früheren politischen Gefangenen der Stasi-Haftanstalt hervor: „Der Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis ist für mich einer der wichtigsten Orte zur Aufarbeitung der Vergangenheit, was von hier aus für Unrecht an der DDR-Bevölkerung begangen wurde.  Für mich war es das Tor zur Freiheit, nur der Weg dahin war sehr steinig und hart. Mit dem heutigen Tag geht ein Wunsch vieler Leidensgenossen und von mir in Erfüllung, das Kaßberg-Gefängnis wird nach langem Warten Gedenkstätte und ein richtiger Lern- und Gedenkort zur Aufarbeitung der Vergangenheit, und zur Zukunft gehört auch die Erinnerung.“


Unsere Fotos zeigen oben von links nach rechts unseren Zeitzeugen Michael Schlosser, Abteilungsleiter Markus Franke vom Staatsministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus, den Chemnitzer Oberbürgermeister Sven Schulze, unseren Vereinsvorsitzenden Jürgen Renz und Cegewo-Geschäftsführer Jens Kroll beim symbolischen Ersten Spatenstich beziehungsweise unten bei der Enthüllung der Bautafel sowie den Oberbürgermeister und unseren Vereinsvorsitzenden bei ihren Redebeiträgen, die Vorstände Michaela Bausch und Stephan Tscheschel sowie Projektleiter Peter Wellach und Vorstand Joseph Walthelm. Fotos: Doreen Schmitt (8)/Michaela Bausch (1)/Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis e.V.

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