Am 2. Oktober 2017 durfte unser Verein anlässlich des Tages der Deutschen Einheit im Rathaus Gießen die Ausstellung „Das Kaßberg-Gefängnis und seine Gesichter“ feierlich eröffnen. Zu Beginn des Festaktes im Rathaussaal begrüßte die Oberbürgermeisterin der Stadt Gießen, Frau Grabe-Bolz, die 150 geladenen Gäste. Sie bedankte sich bei unseren Zeitzeugen Frau Sabine Popp und Herrn Chris Bürger sowie bei unserer stellvertretenden Vorsitzenden Frau Hanka Kliese. Der Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis e.V. bringe uns, „unsere eigene Geschichte näher“, so Frau Grabe-Bolz. Anschließend sprach Roland Jahn, der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, über den Häftlingsfreikauf.
Auch er begrüßte Sabine Popp und Chris Bürger sowie Hanka Kliese. Roland Jahn würdigte das Engagement der beiden Zeitzeugen. Die zwei Bürgerrechtler hätten es möglich gemacht, „dass wir heute hier sitzen“. Der Bundesbeauftragte stellte eine Reihe von Fragen, etwa welche Werte wir heute haben wollten und warum es in der DDR zwei Millionen SED-Mitglieder gab. Er erinnerte an den ersten Häftlingsfreikauf vom 3. Oktober 1963 und berichtete von seinen persönlichen Erfahrungen im Zuchthaus Cottbus: „Ein Wort zu viel und es hagelte schnell mal Prügel vom Wachpersonal.“ Er selbst träumte zu dieser Zeit von einem Leben mit seiner Familie in Westdeutschland, von dem Bus, der nach Gießen fuhr. Anhand verschiedener Biografien von politisch Verfolgten des SED-Regime verdeutlichte Roland Jahn: „Demokratie und Menschenrechte sind keine Selbstverständlichkeit.“ Das führe zur Frage, wieweit die Anpassung in der DDR reichte. Oftmals vermisse er ein Bekenntnis zur Verantwortung, so Roland Jahn abschließend.
Nach einer musikalischen Einlage des Oberstufenchores der Liebigschule Gießen hielt Hanka Kliese eine beeindruckende Rede: „‚Freiheit‘ ist ein großes Wort, so heißt es. ‚Freikauf‘ ist auch ein großes Wort. Dahinter stehen ca. 33.000 Menschen.“ Sie gab zu bedenken, dass es kein persönliches Verdienst sei, in einer Diktatur oder in einer Demokratie aufgewachsen zu sein. Sie erklärte, Ziel der Ausstellung war es, „dem Schicksal politischer Häftlinge in der DDR ein Gesicht zu geben“. Sichtlich betroffen waren die Gäste im Saal des Gießener Rathauses als Hanka Kliese über die Schicksale von Sabine Popp und Chris Bürger sprach. Für Sabine Popp bedeutete der Freikauf „Erlösung und Last zugleich“, für Chris Bürger erfüllte sich der Traum vom Freikauf nicht. Hanka Kliese resümierte, der Verein betone in seiner Arbeit stets, „dass es sich bei unserem Alleinstellungsmerkmal, dem Häftlingsfreikauf, um ein gesamtdeutsches Thema handelt. Tatsächlich wird das Thema politisch leider zu oft als ein ostdeutsches Thema betrachtet“. Zum Ende ihrer Rede sagte sie: „Betrachten Sie unseren Besuch hier in Gießen auch als einen späten Dank für das, was Bewohner Ihrer Stadt für die freigekauften Häftlinge getan haben.“
Nachdem offiziellen Festakt hatten die Gäste genügend Gelegenheit, sich die Ausstellung „Das Kaßberg-Gefängnis und seine Gesichter“ im Foyer des Rathauses anzuschauen. Frau Grabe-Bolz und Herr Jahn ließen sich von Frau Kliese über die Entstehung der Ausstellung aufklären, Frau Popp und Herr Bürger führten viele Gespräche und beantworteten Fragen. Der wohl schönste Moment an diesem Abend war das Wiedersehen zwischen Frau Popp und Herrn Dörr, dem ehemaligen Leiter des Notaufnahmelagers Gießen.
Zum Tag der Deutschen Einheit lud unser Verein für 14 Uhr erneut in den Hermann-Levi-Saal des Rathauses ein. Am Vormittag des 3. Oktober fuhren Sabine Popp, Chris Bürger, Hanka Kliese und Steffi Lehmann mit Herrn Dr. Brake vom Stadtarchiv Gießen zum Notaufnahmelager. Am Nachmittag begann die Veranstaltung mit einem Kurzvortrag von Steffi Lehmann. Sie sprach über die Arbeit des Vereins und über den Aufbau der Ausstellung. Vor dem Zeitzeugengespräch schauten sich die Besucher den zwölfminütigen Zeitzeugenfilm zur Ausstellung an. Moderiert wurde das Zeitzeugengespräch mit Sabine Popp und Chris Bürger von Hanka Kliese und Steffi Lehmann. Die Biografien unserer Zeitzeugen bewegten das Publikum sehr. Selbst nach Ende des Zeitzeugengesprächs wandten sich die Besucher noch im Foyer des Rathauses mit persönlichen Fragen an Sabine Popp und Chris Bürger.
Der Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis e.V. bedankt sich ganz herzlich bei Sabine Popp, Chris Bürger, Hanka Kliese und Roland Jahn. Ein besonderer Dank geht an die Oberbürgermeisterin der Stadt Gießen, Frau Grabe-Bolz, sowie an Herrn Dr. Brake und Herrn Heidl vom Stadtarchiv Gießen. Die Ausstellung kann noch vier Wochen im Rathaus Gießen vor der Stadtbibliothek besichtigt werden. Sie wurde gefördert durch die Stiftung Sächsische Gedenkstätten aus Mitteln des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst.