„Jena-Paradies“: Peter Wensierski liest im Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis

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Etwa 50 Gäste waren gestern Abend in unseren Lernort gekommen, um eine Lesung mit Peter Wensierski zu erleben. Im Gespräch mit SPIEGEL-Redakteur Tobias Rapp stellte der Journalist, Buchautor und Filmemacher, der ab 1979 als Korrespondent für Westmedien aus der DDR berichtete, sein Buch „Jena-Paradies – Die letzte Reise des Matthias Domaschk“ vor. Im Buch, basierend auf der Durchsicht von 60.000 Seiten Akten und Gesprächen mit 190 Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, Verwandten und Freunden, aber auch Stasileuten, geht es um Leben und Träume eines jungen Mannes, der im April 1981 von Jena aus zu einer Party nach Ost-Berlin aufbrach und kurz darauf in der Untersuchungshaftanstalt der DDR-Staatssicherheit in Gera zu Tode kam. In Rückblenden und Perspektivwechseln ins Leben Matthias Domaschks, auf seinen Freundeskreis, das Elternhaus und ins Innere des Unterdrückungsapparats entsteht nicht nur ein Porträt eines unangepassten Jugendlichen und seiner Generation, sondern ein ganzes Panorama der DDR-Gesellschaft.

In Chemnitz in der einstigen Hafthalle im früheren Hafttrakt B wechseln gelesener Text, Videos und Gespräch. Im Zentrum steht an diesem Abend und später im Austausch mit dem Publikum nicht die Rekonstruktion der Todesumstände, sondern – neben Mentalitäten und Werdegängen in Partei, Behörden, Stasi und Volkspolizei – Matz, wie ihn seine Freunde nannten, die Jenaer Jugendopposition und ihre Ideen von einer freieren und menschlicheren Gesellschaft. Wensierski: „Wie will ich leben? Wollen wir gegeneinander leben oder miteinander leben? Diese Fragen haben sich die jungen Leute in Jena damals gestellt.“

Vor dem Hintergrund der Ost-West-Debatte, die wieder da sei und das Trennende betone, sagt Tobias Rapp, selbst Autor eines Buches über Subkultur, allerdings eine Generation später im wiedervereinten Berlin, habe ihn das bei der Lektüre am meisten erstaunt: wie ähnlich sich die Gegenkulturen in Ost und West damals waren – nicht in den Umständen, aber im Wünschen und Wollen, in der Mode und Ton-Steine-Scherben-Songs, im Konflikt mit den Eltern aus der Wiederaufbaugeneration. Die Spaltung sei nicht zwischen Ost und West, sondern quer durch die Gesellschaften verlaufen, so Wensierski. Die DDR wie die Bundesrepublik seien beides Nachkriegsgesellschaften gewesen. Im Westen aber habe die Gegenkultur die Gesellschaft verändern können, sie sei offen genug gewesen und habe sich als veränderbar erwiesen, im Osten hingegen nicht. „Das ist der Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie.“

Unsere Bilder, fotografiert von Kateryna Vdovchenko und Robert Schröpfer, zeigen oben Peter Wensierski und Tobias Rapp während des Gesprächs, unten mit Mikrofon die Zeitzeugin Maria Diete, die selbst zur Jenaer Jugendszene gehörte, unsere wissenschaftliche Leiterin Dr. Steffi Lehmann bei der Begrüßung, Peter Wensierski am Signiertisch im Gespräch mit einer Besucherin, unser Vorstandsmitglied Michaela Bausch mit Maria Diete und Peter Wensierski bei einem Rundgang durchs Haus sowie Dr. Steffi Lehmann im Gespräch mit Tobias Rapp.

Die Veranstaltung wurde mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes. Weitere Informationen finden Sie unter www.erinnerungskultur.sachsen.de. Wir danken außerdem allen Ehrenamtlichen und Mitwirkenden sowie TD Media Chemnitz für den technischen Support.

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