Matthias Herbst wurde 1957 in Jena geboren.

Welchen Bezug hat der Zeitzeuge zum Kaßberg-Gefängnis?

Matthias Herbst verteilte im Dezember 1983 mit drei Freunden Flugblätter in Gera. Wegen des „Zusammenschlusses zur Verfolgung gesetzwidriger Ziele“ (§ 218 StGB DDR) erhielt er 1984 eine Freiheitsstrafe von acht Monaten. Nach Haftstationen in Gera und Naumburg erfolgte der Transport in das Kaßberg-Gefängnis. Ausreisen aber wollte er nicht.

Kurzbiografie

Gemeinsam mit drei Freunden fertigte er in Reaktion auf die Nachrüstungsbeschlüsse von NATO und Warschauer Pakt etwa 2.000 Flugblätter an. Am 23. Dezember 1983 verteilten sie diese in Gera. In den folgenden Wochen trafen sich die Freunde wie gewohnt und engagierten sich weiterhin innerhalb der kirchlichen Friedensarbeit. Am 5. April 1984 wurde Matthias Herbst von seiner Arbeitsstelle abgeholt. Für drei Monate kam er in die Untersuchungshaftanstalt Gera. Da er schwer erkrankte, wurde er für eine Woche im Haftkrankenhaus in Berlin-Hohenschönhausen behandelt.

Matthias Herbst, Silvester 1983

Nach der Verurteilung zu einer achtmonatigen Freiheitsstrafe wegen des „Zusammenschlusses zur Verfolgung gesetzwidriger Ziele“ (§ 218 StGB DDR) wurde Matthias Herbst zunächst in die Geraer Untersuchungshaftanstalt des MdI und später im sogenannten „Grotewohl-Express“ nach Naumburg gebracht. Von dort aus gelangte er in das Kaßberg-Gefängnis. Zermürbt und müde von der Haftzeit stellte Matthias Herbst einen Ausreiseantrag, den er jedoch – geplagt von Zweifeln – zurückzog. Dies wurde nicht genehmigt. Wenige Tage später erhielt er Post von seiner Frau und seiner Mutter. Nun stand sein Entschluss fest: Er wollte tatsächlich in der DDR bleiben. Was er anschließend im Kaßberg-Gefängnis erlebte, schildert er im folgenden Text:

Vor der Busabfahrt musste jeder Häftling Passfotos machen lassen, sich einer Gesundheitsuntersuchung unterziehen und sein gesamtes Geld in einem besonderen Laden ausgeben. In diesem Laden gab es alles zu kaufen, was man sonst in der DDR nicht bekam: exquisite Bekleidung, Westzigaretten, Südfrüchte. Außerdem gab es während der Zeit in Karl-Marx-Stadt immer sehr gutes Essen und Obst, damit jeder gutaussehend im Westen ankam. Ich musste diese Dinge auch mitmachen, obwohl ich nicht ausreisen wollte. Die Stasi sagte aber jetzt, es sei Ihnen egal, ich muss fahren. Dies ereignete sich am 9.Oktober. Am 10. Oktober war Abfahrt. Alle waren gutgelaunt und wir erhielten unsere Zivilsachen und Gegenstände zurück. Die Busse fuhren pünktlich 13 Uhr los. Gegen 11 Uhr wurde ich aus der Zelle geholt und in eine Einzelzelle verlegt. Kurze Zeit später wurde ich in ein Büro geführt, wo mich Rechtsanwalt Vogel und ein Assistent begrüßten. Herr Vogel wollte von mir wissen, ob ich bereit bin, in die Bundesrepublik auszureisen. Ich sagte ihm noch einmal, dass mein Schritt, den Antrag zu stellen eine Kurzschlussreaktion war und ich jetzt ein klares „Nein zur Ausreise“ sage.

Entlassungsschein von 1984

Herr Vogel versprach mir im Falle der Ausreise, sich persönlich um meine Lebensgefährtin und ihr Kind zu kümmern. Es würde keine Probleme geben, wenn sie mir schnellstmöglich in die BRD folgen wollten. Dann fragte er mich, wie er meine Abwesenheit in Gießen erklären sollte, zeigte mir sogar die Ausreiseliste mit meinem Namen. Ich sagte ihm, dass ich nicht weiß, wie er das in Gießen erklären kann. Daraufhin sagte er, dass er jetzt noch einmal für ein paar Minuten nach draußen gehe, damit ich es mir noch einmal überlegen kann. Als er nach einiger Zeit zurückkam, wollte er meine Entscheidung wissen. Ich blieb dabei. Im verärgerten Ton sagte mir Herr Vogel: „Eines Tages werden Sie wieder hier auf diesem Stuhl sitzen und dann sagen Sie ‚Ja ‘“

Ich wurde in die Einzelzelle zurückgeführt, hörte die Abfahrt des Busses und die Freude der Menschen. Ich dachte: „Naja, jetzt geht es zurück in den Knast nach Naumburg und dort muss ich die restlichen zwei Monate absitzen.“ Nachdem der Bus abgefahren war, holte mich ein Stasibeamter, ließ mich meinen Entlassungsschein unterschreiben und erklärte mir den Weg zum Bahnhof. Am Tor sagte er noch zu mir, ich solle mich hier nie wieder sehen lassen. Es war ein komisches Gefühl, plötzlich wieder in Freiheit zu sein und ich war sehr unsicher. Am Abend kam ich zu Hause an. Meine Frau freute sich sehr und sagte mir, dass nachmittags die Stasi schon da gewesen war, um ihr meine Entlassung mitzuteilen. Sie erzählte mir, dass in der letzten Zeit laufend Stasibeamte bei ihr waren, um sie ebenfalls von einem Ausreiseantrag zu überzeugen.

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