Dieter Gollnick wurde im Jahr 1956 als drittes Kind von insgesamt vier Geschwistern im Ostberlin geboren.

Welchen Bezug hat der Zeitzeuge zum Kaßberg-Gefängnis?

Am 12./13. März 1987 wurde Dieter Gollnick wegen „ungesetzlichen Grenzübertritts im schweren Fall“ nach Paragraph 214 DDR-Strafgesetzbuch zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.

Kurzbiografie

Dieter Gollnick war Mitglied im Judo-Verein „ASK Vorwärts Berlin“ (später „Rotation Berlin“), in welchem er zahlreiche Erfolge erzielte. Als Jugendlicher im Alter zwischen 16 und 17 Jahren pflegte er Kontakt zu anderen Heranwachsenden, die sich mit der Politik im SED-Staat nicht einverstanden zeigten. Er gehörte zu jenen Menschen seines Bezirkes, die von den Erziehungsfunktionären besonders argwöhnisch beobachtet wurden, wozu es schon allein eines unkonventionellen Äußeren – Flickhose, Bart und lange Haare – bedurfte.

Dieter Gollnick während einer Museumsnacht im Kaßberg-Gefängnis

Dieter Gollnick arbeitete als Lagerbereichsleiter beim VEB WTB (Waren des täglichen Bedarfs). Im Jahr 1980 heiratete er und wurde Vater von drei Kindern. Immer mehr beschäftigten ihn die politischen Missstände in der DDR. Er verspürte zunehmend Unzufriedenheit, insbesondere wegen der manipulierten Wahlen, der Abschottung durch die Mauer und der fehlenden Meinungsfreiheit. Aus diesem Grund stellte die Familie 1986 einen Ausreiseantrag, woraufhin ihm seine Stelle als Lagerbereichsleiter aberkannt wurde. Da er die Tourenpläne der Lieferfahrzeuge aufstellte, hätte er die Versorgung der Bevölkerung – angeblich – in seinem Sinne beeinflussen können. Das Angebot für weniger Lohn als Lagerarbeiter weiterzuarbeiten, lehnte er ab. Es folgten Kündigung, Berufsverbot und Arbeitslosigkeit.

Gemeinsam mit dem Bruder seiner (damaligen) Ehefrau suchte er in der Nacht zum 21. November 1986 den Grenzübergang Checkpoint Charlie auf. Sie gaben ihre Personalausweise ab und bekräftigen damit ihren Willen, das Land endlich verlassen zu wollen. Sie wurden verhaftet. Zur ersten Untersuchung kam Dieter Gollnick in die Berliner Keibelstraße. Danach folgte seine Verlegung nach Hohenschönhausen. Er berichtet von zermürbenden Verhören, denen er nahezu täglich ausgeliefert war. Er blieb standhaft, trotz starker psychischer Belastungen, wiederkehrenden Versuchen, sein Schamgefühl zu verletzten, sowie regelmäßigen Gewaltandrohungen. Wie er später seine Akte entnahm, bekam er Psychopharmaka zur Ruhigstellung verabreicht.

Dieter Gollnick wurde am 12./13. März 1987 wegen „ungesetzlichen Grenzübertritts im schweren Fall“ nach § 214 zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Das Gericht unterstellte ihm, er und sein Schwager hätten die Personalausweise nur zur Ablenkung des Postens abgeben wollen, um in den Westen zu fliehen. Das Urteil wurde am 21. März 1987 rechtskräftig. Nach sechs Monaten Haft in Hohenschönhausen wurde er zusammen mit anderen Gefangenen in das Gefängnis Berlin-Rummelsburg gebracht. Er musste sich die Zelle mit einem Frauenmörder teilen. Von Berlin-Rummelsburg aus gelangte Dieter Gollnick nach Karl-Marx-Stadt. Gefangenensammeltransporte per Bahn erfolgten im „Grotewohl-Express“. Jene speziellen Eisenbahnwaggons kamen beim abgeschotteten Transport von Häftlingen in der DDR zum Einsatz. Die Gefangenen waren auf engstem Raum zusammengedrängt und oft tagelang unterwegs. Dieter Gollnick fuhr etwa 24 Stunden mit dem „Grotewohl-Express“, wobei sich fünf Personen in einer Zelle von etwa 1,5 Quadratmetern aufhielten, einer von ihnen musste stehen.

Am Bahnhof Karl-Marx-Stadt angekommen, fuhren sie zum Strafvollzug in die Reichenhainer Straße. Dort angelangt, schlug ihnen ein rauer Ton entgegen. Wieder mussten sie ihre Kleidung ablegen und wurden einer Kontrolle unterzogen. Anschließend erhielten sie die Anstaltskleidung. Den Weg zur Arbeitsstätte beschritten sie im Beisein von Hunden des Wachpersonals. Die Wärter kontrollierten die Gefangenen vor und nach der Arbeit. Die Häftlinge mussten sich nackt zeigen und standen unter ständiger Beobachtung. In drei Schichten fertigten sie Getriebegehäuse für MZ-Motorräder. Als Dieter Gollnick während der Arbeit einen Unfall mit einer großen Fleischwunde im Bauch erlitt, wurde keine Erste Hilfe geleistet. Es dauerte eine Stunde bis die Wärter reagierten und er in ein Krankenhaus kam. Dieter Gollnick erinnert sich noch an einen anderen Vorfall, bei dem ein Häftling brutal verprügelt wurde, weil er einem Wachhund ein Stück Brot zugeworfen hatte. Einen Monat später kam Dieter Gollnick in das Kaßberg-Gefängnis. Bis zu seiner Entlassung im November 1987 blieb er in dem Haftgebäude, in welchem Häftlinge Federballschläger herstellten.

Nach seiner Haftzeit wurde er wieder in die DDR entlassen. Zu diesem Zeitpunkte ahnte er noch nicht, dass viele Ausreisewillige im März 1988 die DDR verlassen sollten. Am 2. März 1988 erhielt er überraschend Besuch eines Mitarbeiters des MfS. Dieter Gollnick hatte die DDR binnen 24 Stunden zu verlassen. Mit dem Zug fuhr er in das Aufnahmelager Gießen, einige Tage später durfte er auf Staatskosten nach Westberlin fliegen. In Berlin-Tegel angekommen, fuhr er mit der S-Bahn ins Aufnahmelager Marienfelde.

Heute lebt Dieter Gollnick in Bayern. Das Bundesarchiv teilte ihm mit, es sei davon auszugehen, die Bundesregierung zahlte für seine Haftentlassung und Ausreise Geld. Seine Akte und ein Beschluss, der währen der Haftzeit getroffen wurde, bestätigen ihm, dass er einer der von der Regierung der Bundesrepublik Deutschland freigekauften politischen Häftlinge ist.

Zur Museumsnacht 2017 informierte Dieter Gollnick die Besucher in einer eigens gestalteten Zelle über seine Erlebnisse in der Reichenhainer Straße (Chemnitz).

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