Dieter Häcker wurde am 12. Dezember 1952 in Chemnitz geboren.


Welchen Bezug hat der Zeitzeuge zum Kaßberg-Gefängnis?

Dieter Häcker befand sich vom 19. Januar bis zum 5. Juli 1978 in der MfS-Untersuchungshaftanstalt. Er richtete sich in einem öffentlichen Brief an den Staatsrat und an die Volkskammer der DDR, indem er gegen den Umgang der SED-Führung mit dem Systemkritiker Robert Havemann Stellung bezog. Er kritisierte die fehlende Meinungsfreiheit und die Verfolgung Andersdenkender in der DDR.

Kurzbiografie

 „Es musste irgendwie weitergehen!“

 Dieter Häcker kam am 12. Dezember 1952 in Chemnitz zur Welt. Im Jahr 1971 legte er an der Erweiterten Oberschule (EOS) „Friedrich Engels“ (heute Karl-Schmidt-Rottluff-Gymnasium) das Abitur ab. Sein Wunsch, ein Studium der Rechtswissenschaften oder der Betriebswirtschaft zu beginnen, aber blieb unerfüllt. Stattdessen absolvierte er eine Lehrausbildung zum Facharbeiter für Datenverarbeitung (Operator). Sein politisches Denken und der kritische Blick auf die herrschenden Gegebenheiten wurden auf der EOS vor allem durch seinen damaligen Staatsbürgerkunde- und Geschichtslehrer geprägt. Dieser unterließ größtenteils die regulären Lobeshymnen auf Stalin, vielmehr klärte er seine Schüler über dessen Verbrechen auf. Bereits als Jugendlicher diskutierte Dieter Häcker häufig mit Mitschülern und Lehrern über Politik. Besondere Empörung löste bei ihm die starke Einschränkung der in der Verfassung kodifizierten Grundrechte aus: DDR-Bürger konnten eben nicht reisen, wohin sie wollten und sie konnten eben nicht offen sagen, was sie dachten. Der Staat reglementierte den Zugang zu Informationen und verhinderte das Aufkommen politischer Debatten in den Medien.

Aus diesen Gründen wandte sich Dieter Häcker im Jahr 1976 an den Staatsapparat: In einem Protestschreiben an den Staatsrat der DDR fand er deutliche Worte zur Ausbürgerung Wolf Biermanns. Als auch noch Robert Havemann wegen seiner medienwirksamen Unterstützung für Wolf Biermann gerichtlich unter Hausarrest gestellt wurde, richtete sich Dieter Häcker erneut an die Staatsführung. Am 3. Oktober 1977 appellierte er:

„durch einen Amnestieerlaß für Prof. Dr. Robert Havemann [, dessen] volle Bewegungsfreiheit für das gesamte Staatsgebiet der DDR, einschließlich Berlins, wiederherzustellen [… sowie] ihm die Möglichkeit zu geben, seine politische Meinung in der DDR offen und öffentlich darzulegen, [denn dies könne] für die sozialistische Demokratie und für unsere Gesellschaft insgesamt […] ein wichtiger Schritt nach vorn sein.“

Eine Antwort seitens der politischen Führung blieb aus. Daraufhin verfasste Dieter Häcker am 1. Dezember 1977 ein weiteres Schreiben an den Verfassungs- und Rechtsausschuss der DDR-Volkskammer. Er wiederholte seine Forderung und plädierte wieder für eine Amnestie Robert Havemanns. Er bat das Parlament um Unterstützung seines Anliegens, sollte die Regierung doch Havemann die Möglichkeit einräumen, in der DDR einen öffentlichen Diskurs über Demokratie zu führen. Parallel dazu verwies er darauf, „sein Land [sei] mit zu vielen Mängeln und Unzulänglichkeiten behaftet“. Das ,,grundlegendste Probleme [sind die] Tatsache[n], daß bei uns Bürger aus politischen Gründen gefangen gehalten werden – z. B. wegen Staatsverleumdung, Staatsfeindlicher Hetzte oder weil sie illegal unser Land verlassen wollten, was ihnen legal nicht möglich war – und […] daß viele politische Fragen kaum öffentlich diskutiert werden könnten, obwohl Artikel 27 unserer Verfassung ausdrücklich die öffentliche Meinungsäußerung garantiert“.

Da auch dieser Brief unbeantwortet blieb und sich der 25-Jährige sagte, es müsse „irgendwie weitergehen“, fertigte er mit Hilfe einer Schreibmaschine insgesamt acht Abschriften seiner Protestbriefe. Diese versah er – um seinen Gedanken Nachdruck zu verleihen – mit folgenden Zitaten aus Rosa Luxemburgs 1918 verfassten Überlegungen „Zur Russischen Revolution“:

„Hingegen ist es eine offenkundige, unbestreitbare Tatsache, daß ohne eine freie ungehemmte Presse, ohne ungehindertes Vereins- und Versammlungsleben gerade die Herrschaft breiter Volksmassen undenkbar ist. […] Freiheit nur für Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit für Andersdenkende.“

(Abb.: Protestschreiben Dieter Häckers an Staatsrat und Volkskammer, Quelle: Privatarchiv Dieter Häcker)

In den Mittagsstunden des 19. Januar 1978 hing Dieter Häcker zunächst vier Exemplare der Protestschreiben in den Räumen seiner Arbeitsstelle, des VEB Datenverarbeitungszentrums Karl-Marx-Stadt, aus. Anschließend begab er sich in die Chemnitzer Innenstadt und brachte an zentralen Plätzen zwei weitere seiner Schriften an. Er wollte den Menschen zum einen wohl die Augen öffnen und sie zum Nachdenken animieren, zum anderen erhoffte er sich dadurch die längst überfällige Stellungnahme der Adressaten seiner Briefe. Am frühen Nachmittag desselben Tages verhaftete ihn die Volkspolizei beim Betreten seiner Arbeitsstelle. Nach einer ersten Vernehmung im Volkspolizei-Kreisamt (heute Polizeipräsidium an der Hartmannstraße) würde er dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) übergeben und in das Kaßberg-Gefängnis gebracht. Das Kreisgericht Karl-Marx-Stadt/Mitte-Nord verurteilte ihn am 31. Mai 1978 zu einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe. Im Juli erfolgte die Verlegung in den Strafvollzug. Im Zuchthaus Cottbus blieb Dieter Häcker bis zu seiner Entlassung am 16. November 1978 inhaftiert.

Kaum zwei Monate nach seiner Entlassung kämpfte Dieter Häcker gegen das an ihm verübte Unrecht. Er verlangte, obwohl die Aussichten mehr als schlecht standen, die Kassation des Urteils. Er erinnert sich: „Ich war damals so dreist!“ Es sollten noch mehrere Jahre vergehen. Erst nach dem Zusammenbruch der SED-Diktatur hob das Bezirksgericht Dresden 1991 das Urteil gegen ihn auf. Es konstatierte in seinem Beschluss, die Verurteilung vor 13 Jahren habe „in schwerwiegender Weise das Gesetz“ verletzt, da Dieter Häcker mit seiner Art des Widerstandes nie den Boden der DDR-Verfassung verlassen, sondern, „lediglich“ sein verfassungsmäßiges Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen habe.

Nach der Haft konnte der gelernte Techniker zwar in seinen alten Beruf, nicht jedoch an seine frühere Arbeitsstelle zurückkehren. Eine neue Beschäftigung fand Dieter Häcker zunächst im Rechenzentrum des VEB Kohlehandel Karl-Marx-Stadt, bevor er 1986 in den kirchlichen Verwaltungsdienst wechselte. Das sei für ihn ein „Glücksfall“ gewesen, wie er heute sagt. Auf diese Weise lief er nicht mehr Gefahr in Gesprächen politisch „anzuecken“. Diese Bedenken waren nicht unbegründet, verrät doch ein Blick in seine Akte: Auch nach seiner Haftentlassung wurde der gebürtige Chemnitzer von der Geheimpolizei permanent überwacht. Das MfS versuchte mehrfach Spitzel in Dieter Häckers direktem Umfeld zu positionieren und leitete 1981 eine Operative Personenkontrolle (OPK) mit dem Decknamen „Specht“ gegen ihn ein.

Dieter Häcker war sich dessen indirekt bewusst. Davon abschrecken aber ließ er sich nicht. Weiterhin dachte er gesellschaftskritisch und artikulierte seine eigenen Gedanken. Im Herbst 1980 sympathisierte er mit der Solidarność-Bewegung in Polen. Einem an die Polnische Botschaft in Berlin adressierten Brief, in dem er das polnische Volk um Verzeihung für die „unsägliche antipolnische Hetze in der DDR-Presse“ bat, folgten weitere Schreiben an den Bundesvorstand des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes. Diesen forderte er auf mit der Solidarność in Verhandlungen zu treten. Wie bereits 1976, nach dem Protest gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns, musste sich Dieter Häcker auch diesmal diversen betrieblichen „Aussprachen“ unterziehen. Im Laufe der Zeit nahmen die Gespräche einen immer bedrohlicheren Ton an. Aus den Dokumenten der Stasi-Unterlagenbehörde erfuhr er, zweimal nur knapp einer erneuten Verhaftung entgangen zu sein. Das MfS erfasste ihn zudem im Sicherungsvorgang (SVG) 1000/68: Das bedeutet, Dieter Häcker wäre im „Krisenfall“ gemeinsam mit zahlreichen anderen Oppositionellen unverzüglich und ohne juristische Begründung in ein Isolierungslager verschleppt worden. Der Ernstfall trat zum Glück nicht ein.

Von 1984 an engagierte sich Dieter Häcker in der kirchlichen Friedensbewegung, 1989 schloss er sich der Bürgerrechtsbewegung an. Im Oktober 1989 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der SPD in Chemnitz. Nach der deutschen Einheit blieb er parteipolitisch aktiv und begleitete bis 2004 das Schatzmeisteramt des SPD-Landesverbandes Sachsen.

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