Unser Verwaltungsleiter, der Historiker Ingolf Notzke, war in der vergangenen Woche mit einem Blockseminar über „Geschichte und Folgen repressiver Heimerziehung in der DDR“ an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Stuttgart zu Gast. 24 Studierende der Fachrichtung Erziehungshilfe setzten sich unter seiner Leitung zwei Tage lang intensiv mit dem DDR-Heimerziehungssystem, seinen repressiven Strukturen und Erziehungsmethoden sowie den oft lebenslangen Folgen für die Betroffenen auseinander. Kinder und Jugendliche, die durch Disziplinschwierigkeiten und deviantes Verhalten auffielen und denen dadurch individualistische, dem Kollektivinteresse zuwiderlaufende Besonderheiten in der Persönlichkeitsentwicklung als Ausdruck von Schwererziehbarkeit bescheinigt wurden, sollten mit allen Mitteln zu sozialistischen Persönlichkeiten umerzogen werden. Das schloss beispielsweise körperliche und sexualisierte Gewalt wie auch Essensentzug ein.
Am zweiten Seminartag kam der Zeitzeuge Ralf Weber in Stuttgart hinzu. Militärischer Drill, körperliche und psychische Gewalt in neun verschiedenen Einrichtungen der DDR-Jugendhilfe, darunter der Geschlossene Jugendwerkhof Torgau, bestimmten seine Kindheit und Jugend, nachdem der gewalttätige Vater in die Bundesrepublik geflohen und die Mutter als Alleinerziehende auf sich gestellt war. Trotz der Beschwerden seiner Mutter kam Ralf Weber erst 1972 aus dem Heimsystem heraus. Noch im selben Jahr wurde er inhaftiert und wegen „Staatsverleumdung“ und „Widerstands“ zu 20 Monaten Haft verurteilt. Im März 1975 wurde er aus der Jugendstrafanstalt Ichterhausen entlassen. 1992 wurde er für die politische Verfolgung und Haftzeit im Jugendstrafvollzug rehabilitiert. Um auch eine Entschädigung für die verschiedenen Heimunterbringungen zu erhalten, ging er bis zum Bundesverfassungsgericht – und bekam mehrfach Recht.
Ingolf Notzke war von 2012 bis 2021 wissenschaftlicher Referent der Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau. Sie ist bundesweit die einzige Gedenkstätte, die eine Auseinandersetzung mit den repressiven Machtstrukturen innerhalb des Bildungs- und Erziehungsapparats der DDR am historischen Ort ermöglicht. Sie steht damit als Symbol für das gesamte unmenschliche Strafsystem der DDR-Spezialheime, welches in der Zeit zwischen 1949 und 1989 etwa 135.000 Kinder und Jugendliche durchlaufen mussten.
Unser Bild, fotografiert von Ingolf Notzke, zeigt Ralf Weber im Gespräch mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Seminars.
Mehr über Ralf Weber und seine Geschichte finden Sie auf der Website des Zeitzeugenbüros, auf deren Angaben der Lebenslauf oben basiert. Weitere Informationen über die Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau finden Sie hier.