Blick nach Sachsenburg: Vortrag über Opfer und Schreibtischtäter in der Kirche

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Im Rahmen der Tage der jüdischen Kultur in Chemnitz gab es gestern Abend in Zusammenarbeit mit der Geschichtswerkstatt Sachsenburg einen Vortrag in unserem Lernort im früheren Hafttrakt B. Vor zwanzig Zuhörerinnen und Zuhörern stellten Herausgeberin Anna Schüller und Herausgeber Felix Dümcke den bei Hentrich & Hentrich Leipzig erschienenen Sammelband „Geistliche im Konzentrationslager Sachsenburg“ vor. Anschließend referierte der Historiker Dr. Oliver Arnhold (Universität Paderborn) die Ergebnisse seines Aufsatzes über Auseinandersetzungen um die sogenannte Arisierung der Kirche anhand der Biografien der evangelischen Theologen Ernst Lewek und Walter Grundmann. Während Grundmann sich in der Zeit des Nationalsozialismus als Protagonist der sogenannten Entjudung der Kirche hervorgetan hatte, zählte Lewek zu den unmittelbar Betroffenen dieser Politik und hatte wegen seiner jüdischen Herkunft Demütigungen, Benachteiligung und Verfolgung zu erleiden.

Ernst Lewek, geboren 1893 in Leipzig, seit 1926 dritter Pfarrer an der Nikolaikirche und Mitglied der Bekennenden Kirche, galt den Nationalsozialisten wegen seines jüdischen Vaters als sogenannter Halbjude. Zwar blieb er aufgrund des Frontkämpferprivilegs Kirchenbediensteter, durfte Ämter allerdings nur eingeschränkt oder gar nicht mehr ausüben. 1935 wurde Lewek zum ersten Mal in sogenannte Schutzhaft genommen und mehr als einen Monat lang im Konzentrationslager Sachsenburg festgehalten. Auswanderungspläne der Familie scheiterten, nachdem der älteste Sohn zur Wehrmacht einberufen worden war. Im November/Dezember 1939 und von November 1944 an bis zu seiner Befreiung im Zwangslager Osterode (Harz) im Februar 1945 war er erneut inhaftiert. Die Bedingungen dort führten bei ihm zur Verschlimmerung eines Herzleidens.

Der Theologe und gebürtige Chemnitzer Walter Grundmann, Jahrgang 1906, hingegen war bereits 1930 NSDAP-Mitglied geworden und seit 1934 förderndes Mitglied der SS. Innerhalb der sächsischen, ab 1935 der thüringischen Landeskirche war er ein Protagonist der NS-nahen sogenannten Deutschen Christen. Im Oktober 1938 erhielt Grundmann trotz fehlender Habilitation eine Professur in Jena und war Mitinitiator und Leiter des kircheneigenen sogenannten Entjudungsinstituts in Eisenach, das die Entfernung jüdischstämmiger Gläubiger und Pfarrer („Judenchristen“) aus den Gemeinden propagierte und unter anderem eine nichtjüdische Herkunft Jesu nachzuweisen versuchte.

Besonders bestürzend: Während Ernst Lewek nach 1945 vonseiten der Kirche keinerlei Rehabilitierung oder Entschädigung erfuhr, setzte Grundmann seine Laufbahn nach einer Zwangspause fort. Grundmann hatte, so Oliver Arnhold, sein Handeln als Schreibtischtäter als Maßnahme zum Schutz der Kirche im Angesicht der nationalsozialistischen Bedrohung dargestellt. Er reüssierte als Kommentator des Neuen Testaments.

Unsere Bilder, fotografiert von Robert Schröpfer, zeigen oben Dr. Oliver Arnhold bei seinem Vortrag in unserem Lernort im früheren Hafttrakt B, außerdem unten unsere wissenschaftliche Leiterin Dr. Steffi Lehmann, Dr. Oliver Arnhold, Anna Schüller und Felix Dümcke (v.l.) im Gespräch sowie den Künstler Osmar Osten (M.), Ideengeber und künstlerischer Beiträger zum Buch, in der offenen Diskussion.

Wir danken der Geschichtswerkstatt Sachsenburg und den Tagen der jüdischen Kultur Chemnitz für die freundliche Zusammenarbeit.

Weitere Informationen zum Buch finden Sie hier.

Am Sonntag, 16. Juni, 14 Uhr bieten wir – ebenfalls im Rahmen der Tage der jüdischen Kultur – eine öffentliche Führung über Haftschicksale in der Zeit des Nationalsozialismus an.

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