„Das demokratische Chemnitz liest“: Zwei Exilromane und ihre Autoren

Zum Gedenken an die Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten, die am 10. Mai 1933 ihren traurigen Höhepunkt fanden, hat sich unser Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis heute am Veranstaltungstag „Das demokratische Chemnitz liest“ beteiligt. Unser Gedenkstättenteam stellte am Vormittag mit „Das Vaterland“ von Heinz Liepman, zuerst erschienen 1933 in Amsterdam, und „Der Reisende“ von Ulrich Alexander Boschwitz, entstanden unter dem Eindruck der Novemberpogrome von 1938, zwei Exilromane und ihre Autoren vor, die die damalige Situation in Deutschland spiegeln. In „Das Vaterland“ kehrt eine Schiffsbesatzung nach drei Monaten Hochseefischerei Ende März 1933 nach Hamburg und damit in ein Deutschland zurück, das nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten von Terror und der Verfolgung politischer Gegner und Juden geprägt ist. Der Autor Heinz Liepman (1905 bis 1966) hatte Deutschland als Jude und Gegner der Nationalsozialisten im Juli 1933 verlassen müssen. Im niederländischen Exil verfasste er im Sommer 1933 den „Tatsachenroman“, der sich durch die Vielzahl der Perspektiven und Unmittelbarkeit der Darstellung auszeichnet. Das Buch beschreibt als eines der ersten literarischen Zeugnisse auch die Verhältnisse in deutschen Konzentrationslagern.

Die Handlung des Romans „Der Reisende“ von Ulrich Alexander Boschwitz, 1939 unter dem Titel „The Man Who Took Trains“ in England publiziert, setzt am Abend des 9. November 1938 in Berlin ein. Die Titelfigur, der jüdische Kaufmann Otto Silbermann, hat ihr Geschäft schon zum Teil ihrem Prokuristen übereignen müssen, um es vor dem Zugriff der Nationalsozialisten zu schützen. Nun wird er vom Mitinhaber aus der Firma gedrängt. Ein Kaufinteressent drückt den Preis seines Hauses. Der Sohn, bereits im Pariser Exil, bemüht sich vergebens um Visa für die Eltern. Es drohen Verhaftung und Gewalt. Auf der Suche nach einem Ausweg beginnt Otto Silbermann, mit der Eisenbahn durchs nationalsozialistische Deutschland zu irren. Ulrich Alexander Boschwitz, Jahrgang 1915, Sohn eines jüdischen Vaters und seit 1935 im schwedischen Exil, zeichnet in den Begegnungen seines Protagonisten unterschiedliche Charaktere und die für Silbermann immer aussichtslosere Lage nach.

Boschwitz eigener Weg führte über Norwegen, Frankreich, Luxemburg und Belgien nach England, wo er nach Kriegsbeginn als „feindlicher Ausländer“ interniert und von wo er nach Australien gebracht wurde. Nach seiner Freilassung kam er auf der Rückfahrt im Oktober 1942 ums Leben, als das Passagierschiff Abosso im Atlantik von einem deutschen U-Boot torpediert wurde und versank. Ulrich Alexander Boschwitz wurde 27 Jahre alt. Sein Roman „Der Reisende“ erschien Jahrzehnte später im Jahr 2018 erstmals auf Deutsch.

Noch bis gegen 21 Uhr wird heute in Chemnitz an insgesamt 14 Orten an verfemte und verfolgte Autorinnen und Autoren und ihre Bücher erinnert. Eine Übersicht der Orte und Zeiten finden Sie hier.

Unsere Bilder, fotografiert von Felix Herrmann, zeigen unsere Leserunde mit unserer wissenschaftlichen Leiterin Dr. Steffi Lehmann, unserem wissenschaftlichen Mitarbeiter Robert Schröpfer und Gästen im Eingangsbereich unseres Lernorts im früheren Hafttrakt B sowie beide Bücher.

Wir danken der Kulturhauptstadt Europas Chemnitz 2025 gGmbH und dem Kulturmanager Daniel Dost für die Initiative und die freundliche Zusammenarbeit.

Link teilen