Zeitzeugenbesuch aus Wien hatte heute unser Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis. Der Philosoph, Autor und Verleger Dr. Peter Engelmann war von der Leipziger Buchmesse nach Chemnitz gekommen, um unseren neuen Lernort im früheren Hafttrakt B zu besichtigen. Der damalige Philosophieabsolvent, geboren 1947 im Ostteil Berlins, war im August 1972 in Rumänien festgenommen worden, nachdem er mit dem Bruder seiner damaligen Freundin, einer Französin aus Marseille, auf einer Motorradtour unbeabsichtigt ins Sperrgebiet zur jugoslawischen Grenze geraten war, wie er berichtet. Schon zuvor hatte der junge Mann aus bürgerlicher Familie Distanz zum DDR-Regime, war wegen sehr guter Schulnoten und aus Erkenntnisinteresse, nicht ideologischen Gründen zum Philosophiestudium gekommen und nach der Niederschlagung des Prager Frühlings zeitweise vom Studium relegiert worden.
In Rumänien wurde Peter Engelmann in einem Militär-, später in einem Strafgefängnis in Timișoara (Temeswar) inhaftiert und zu einem Jahr Freiheitsentzug verurteilt. In der Hoffnung, ihn freizubekommen, sammelte seine Freundin Geld und bestach Behördenvertreter. Stattdessen wurde Peter Engelmann im Oktober 1972 von der Securitate über Bukarest in die DDR überstellt und in der Magdalenenstraße inhaftiert, wo erneut Verhöre begannen. Wegen angeblicher „versuchter Republikflucht“ verurteilte ihn ein Gericht zu zwei Jahren Gefängnis. Zum Strafvollzug wurde er über Rummelsburg nach Cottbus gebracht. Im Juli 1973 wurde Peter Engelmann im Rahmen des Häftlingsfreikaufs aus der DDR über den Kaßberg in die Bundesrepublik entlassen. Als besonders perfide ist ihm die Fangfrage vonseiten der Staatssicherheit in Erinnerung geblieben, ob er seine Taten bereue. Hätte er bejaht, wäre er höchstwahrscheinlich trotz Freikauf nicht in den Westen, sondern in die DDR zurückentlassen worden.
Peter Engelmann ging mit seiner Freundin nach Paris. Als Philosophiedoktorand und Stipendiat kam er in Kontakt mit den französischen Philosophen Michel Foucault, Jacques Derrida, Jean-François Lyotard, Jean Baudrillard und Jean-Luc Nancy, mit denen sich Freundschaften entwickelten und deren deutschsprachiger Verleger er später wurde. „Ich brachte den philosophischen Hintergrund, die Erfahrung des realen Sozialismus und die Reflexionsfähigkeit mit“, sagt Dr. Peter Engelmann. „Das machte mich interessant.“ 1985 gründete er in Wien die Edition Passagen, 1987 den Passagen Verlag, der seither zu den wichtigsten philosophischen Verlagen im deutschsprachigen Raum gehört.
Unser Foto zeigt Dr. Peter Engelmann vor einem Mielke-Zitat zum Häftlingsfreikauf in unserer Dauerausstellung im neuen Lernort im früheren Hafttrakt B.