Zeitzeugenbesuch aus Rochlitz und Baden-Württemberg hatte heute unser Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis. Brigitte und Hans-Jürgen Görner und ihr Sohn Erik Görner waren nach Chemnitz gekommen, um unsere neu entstandene Dauerausstellung im früheren Hafttrakt B zu besichtigen. Im September 1989 hatten das Ehepaar Görner und der damals 19-jährige Sohn mit einem Kumpel, wie sie berichteten, versucht, die DDR über die ČSSR und Ungarn nach Westen zu verlassen. Weil sie zuvor Ausreiseanträge gestellt hatten, bekamen sie keine Visa für Ungarn. Beim Versuch, über die grüne Grenze dorthin zu gelangen, wurden sie aufgegriffen, zunächst mit weiteren DDR-Bürgern in Banská Bystrica eingesperrt und über Bratislava zurück nach Ostdeutschland gebracht. Dort waren sie in Ost-Berlin, anschließend für einige Tage im Kaßberg-Gefängnis inhaftiert, bevor sie Ende September mit der Drohung, beim geringsten Anlass erneut eingesperrt zu werden, nach Hause entlassen wurden.
Ende Oktober 1989 gab der Rat des Kreises Rochlitz schließlich den Ausreiseanträgen der Görners statt. Die Familie löste die Wohnung auf und nahm Abschied von den Angehörigen – in dem Glauben, diese lange Zeit nicht wiederzusehen. Am 10. November 1989 reisten die Görners offiziell in die Bundesrepublik aus. Bei der Grenzkontrolle, so erinnern sie sich, hatte man vom Mauerfall in der Nacht zuvor offenbar noch nichts mitbekommen. Weil sie kein Radio mehr besaßen, hatten auch sie erst im Zug davon erfahren.
Bereut hat die Familie ihr Weggehen nicht. „Wir haben unseren Weg gemacht“, sagt Brigitte Görner. Alle drei fassten im Westen Fuß, fanden schnell Arbeit und lebten gern dort. Im Jahr 2019 kehrte das Ehepaar Görner nach Rochlitz zurück, Erik Görner blieb in Baden-Württemberg.