Zeitzeugin und Zeitzeuge im Gespräch

Gleich mit drei Zeitzeugengesprächen an einem Tag, moderiert von Vereinsmitglied und Lehrer Christian Lieberwirth sowie unserer wissenschaftlichen Mitarbeiterin Kristina Hahn, war unser Verein vergangene Woche zum Schuljahresabschluss im Geschichtsunterricht der August-Bebel-Oberschule in Zschopau (Erzgebirge) zu Gast. Zuerst berichtete Petra Weise den Schülerinnen und Schülern der Klasse 9b über den missglückten Fluchtversuch ihrer Familie über Bulgarien 1980, die anschließende Haft im berüchtigten Frauengefängnis Hoheneck und ihre Entlassung in die Freiheit über den Kaßberg. Anschließend kam Wolfgang Lötzsch in zwei Sitzungen mit den beiden Parallelklassen ins Gespräch über seine Hafterfahrungen im Kaßberg-Gefängnis 1976/77, über Jugend und Leistungssport in der DDR und darüber, wie die Staatssicherheit seine Karriere zerstörte.

Der Radsportler Wolfgang Lötzsch, der vielen bis heute als Ausnahmetalent gilt, war im November 1971 als vierfacher DDR-Juniorenmeister in den Kader der damals populären Friedensfahrt und der Olympischen Spiele von München berufen worden. Kurz darauf kam die Entlassung aus dem Sportclub Karl-Marx-Stadt, weil er als „politisch bedenklich“ eingestuft worden war. Wegen angeblicher Kontakte zu Verwandten im Westen, seiner Weigerung, in die SED einzutreten, und Gerüchten um Fluchtgedanken wurde er vom Leistungssport ausgeschlossen. Auch nachdem er wegen unbedachter Äußerungen („Staatsverleumdung“) 1976 für zehn Monate im Kaßberg-Gefängnis inhaftiert worden war, hatte die Staatssicherheit weiterhin zahlreiche Zuträger im Umfeld von Wolfgang Lötzsch platziert.

Die Bibliothekarin Petra Weise war durch eine seltene Erkrankung ihrer damals dreijährigen Tochter in Konflikt mit der DDR geraten. Weil sie und ihr Mann keinen „bevölkerungsbedarfsgerechten Beruf“ ausübten, rangierte das Kind weit unten auf der Warteliste für die überlebensnotwendigen Medikamente. Das Ehepaar mit seinen zwei Kindern entschloss sich zur Flucht über Bulgarien, um die Tochter im Westen behandeln lassen zu können. Beim Fluchtversuch im Juli 1980 wurde die Familie an der Grenze zu Jugoslawien aufgegriffen. Petra Weise kam in Untersuchungshaft in Berlin-Pankow, wurde im Oktober 1980 zu einem Jahr und acht Monaten Freiheitsentzug verurteilt und nach Hoheneck gebracht. Im Juli 1981 wurde das Ehepaar freigekauft und über den Kaßberg in die Bundesrepublik entlassen. Die Erkrankung der Tochter wurde im Westen erfolgreich behandelt.

Unser Bild, fotografiert von Kristina Hahn, zeigt unseren Zeitzeugen Wolfgang Lötzsch und unser Vereinsmitglied Christian Lieberwirth im Gespräch mit den Schülerinnen und Schülern.

Die Veranstaltung wurde mitfinanziert mit Steuermitteln auf der Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtages beschlossenen Haushaltes. Wir danken außerdem der August-Bebel-Oberschule Zschopau für die freundliche Einladung.

Link teilen