In Halle zu Gast

Zu Gast bei den Kolleginnen und Kollegen in der Gedenkstätte Roter Ochse in Halle (Saale) war gestern ein Teil des Gedenkstättenteams unseres künftigen Lern- und Gedenkorts Kaßberg-Gefängnis. Im Gespräch mit dem halleschen Gedenkstättenleiter Michael Viebig sowie den beiden dortigen Pädagogen Laura Miete und Niklas Poppe informierten sich unsere Leiterin Dr. Steffi Lehmann, unser Verwaltungsleiter Ingolf Notzke und unser wissenschaftlicher Mitarbeiter Robert Schröpfer über die doppelte Diktaturgeschichte des einstigen politischen Haftorts, die Gedenkstättenarbeit und insbesondere Bildungsangebote für junge Leute. Auskunft gaben auch Lilli Hietschold, Sarah Wiechert und Alma Jüttner, die gegenwärtig ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ Kultur) beziehungsweise Praktika in der Gedenkstätte absolvieren.

Der Rote Ochse in Halle, errichtet in den 1840er-Jahren als preußische Straf-, Lern- und Besserungsanstalt, fungierte in der Zeit des Nationalsozialismus als politischer Haftort, ab November 1942 auch als Hinrichtungsstätte Verurteilter ortsansässiger Gerichte sowie des Reichskriegsgerichts mit Sitz in Torgau, zeitweilig auch weiterer Gerichte in Sachsen und in Chemnitz. Bis April 1945 wurden in einem Nebengebäude der Haftanstalt 549 Menschen umgebracht, vorrangig Opfer politischer Justiz. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs war der Rote Ochse Sitz eines Sowjetischen Militärtribunals, ab 1950 zu einem Teil Untersuchungshaftanstalt der DDR-Staatssicherheit. 1996 wurde in der ehemaligen Hinrichtungsstätte der NS-Zeit, dem späteren Vernehmertrakt der Stasi, eine Gedenkstätte eingerichtet. Die eigentlichen Haftgebäude werden seit 1990 als Justizvollzugsanstalt des Landes Sachsen-Anhalt betrieben.

Ein besonderer Teilnehmer des Rundgangs durchs Haus war der Zeitzeuge Michael Teupel, der Anfang der 1980er-Jahre Haftinsasse im Roten Ochsen und auch im Kaßberg-Gefängnis in Karl-Marx-Stadt war. Der damals 18 Jahre alte Lehrling der Deutschen Reichsbahn in Hettstedt (heute Landkreis Mansfeld-Südharz) hatte im August 1980 im Kofferraum eines Autos über die ungarisch-jugoslawische Grenze in den Westen fliehen wollen. Nachdem seine Pläne verraten worden waren, geriet er in Ungarn in Haft. Über Pécs und Budapest wurde er zurück in die DDR nach Halle gebracht und im Dezember 1980 sowie Januar 1981 erst vom Kreisgericht Eisleben, dann vom Bezirksgericht Halle wegen „versuchter Republikflucht“ zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Zum Strafvollzug wurde er nach Brandenburg-Görden gebracht, wo er bei mangelndem Arbeitsschutz und unter Schikanen Eisenbahn-Waggons zerlegen musste. Im Januar 1982 kaufte ihn die Bundesregierung frei. Michael Teupel wurde von der Stasi über das Kaßberg-Gefängnis in den Westen entlassen.

Unsere Bilder, fotografiert von Robert Schröpfer, zeigen oben Dr. Steffi Lehmann im Gespräch mit Gedenkstättenleiter Michael Viebig, Pädagogin Laura Miete und Praktikantin Sarah Wiechert, unten Michael Viebig mit unserem Verwaltungsleiter Ingolf Notzke, Praktikantin Sarah Wiechert und der FSJ-Leistenden Lilli Hietschold sowie Zeitzeuge Michael Teupel, Pädagoge Niklas Poppe und Dr. Steffi Lehmann, außerdem Blicke in ein rekonstruiertes Vernehmerzimmer der Staatssicherheit, auf die Gedenkstätte und auf die heutige Justizvollzugsanstalt.

Zur Website der Gedenkstätte Roter Ochse gelangen Sie, wenn Sie hier klicken. Ein Video der MDR-Sendung „Zeitreise“ mit Michael Teupel, zum Teil gedreht im ehemaligen Vernehmertrakt in Halle, finden Sie hier (erster Beitrag).

Wir danken dem Gedenkstättenteam des Roten Ochsen für die Gastfreundschaft und den anregenden Austausch.

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