Besuch aus der Nachbarschaft hatte heute unser Lern- und Gedenkort. Mehr als 80 Gläubige der römisch-katholischen Pfarrei „Heilige Mutter Teresa“ Chemnitz, die ihren Sitz in der Hohen Straße auf dem Kaßberg hat, und Propst Benno Schäffel informierten sich in einer Führung mit unserem wissenschaftlichen Mitarbeiter Robert Schröpfer über die doppelte Diktaturgeschichte des einstigen politischen Haftorts, den Häftlingsfreikauf aus der DDR und die Gedenkstättenkonzeption. Höhepunkt war ein Gespräch mit unserem Zeitzeugen Thomas Drescher. Er gehörte im Herbst 1989 zu den letzten politischen Gefangenen, die im Rahmen des Häftlingsfreikaufs über den Kaßberg in den Westen entlassen wurden, und ist heute mit seiner Biografie in unserer Dauerausstellung vertreten.
Gemeinsam mit einem Schulfreund hatte der damals 21-Jährige im Januar 1989 zwei Fluchtversuche über die Grenzanlagen in Glienicke Nordbahn nördlich von Berlin unternommen. Den ersten brachen die beiden erfolglos ab, den zweiten verhinderte ein Grenzsoldat mit Maschinenpistole und Wachhund. Thomas Drescher kam nach Oranienburg in Untersuchungshaft und wurde anschließend wegen sogenannten versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts – aufgrund der vorbereiteten Kletterhilfen „in schwerem Fall“ – zu 15 Monaten Freiheitsentzug verurteilt. Zum Strafvollzug wurde er nach Zeithain bei Riesa gebracht und musste Zwangsarbeit im VEB Rohrkombinat Stahl- und Walzwerk Riesa leisten, bevor er im Oktober 1989 auf den Kaßberg verlegt und von dort nach Gießen entlassen wurde. Einen Tag, nachdem Thomas Drescher seinen ersten bundesdeutschen Personalausweis erhalten hatte, fiel die Berliner Mauer.
Im Anschluss hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Gelegenheit für Fragen und zur weiteren Besichtigung des Hauses.
Unsere Fotos zeigen unseren Zeitzeugen Thomas Drescher beim Gespräch in der Halle des früheren Hafttrakts B, außerdem den Zeitzeugen und unseren Mitarbeiter Robert Schröpfer (hinten) bei Beginn der Führung im Eingangsbereich unseres Lernorts, Thomas Drescher (l.) im Gespräch mit Pfarrer Benno Schäffel (2.v.l.) und weiteren Besuchern sowie Blicke in den biografischen Ausstellungsbereich über Thomas Drescher und in die einstige Hafthalle.
Das Zeitzeugengespräch wurde mitfinanziert mit Steuermitteln auf der Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtages beschlossenen Haushaltes. Wir danken Thomas Drescher für seine Beteiligung, Pfarrer Benno Schäffel für die freundliche Zusammenarbeit und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern für ihren Besuch und die großzügigen Spenden.